Zusammenfassung
Europa hat es nicht leicht: Die gemeinschaftliche Währung macht eine der schwierigsten Phasen seit ihrer Einführung vor nunmehr zehn Jahren durch. Schon werden Stimmen laut, die das Ausscheiden einzelner Staaten aus der Eurozone fordern, die europäische Einigung scheint gefährdet. Doch außerhalb der im Fokus der Betrachtung stehenden Währungsfragen wächst Europa weiter zusammen. Die zunehmende Migration führt dazu, dass die Zahl der "grenzüberschreitenden Erbfälle" in Europa immer weiter steigt. Man geht davon aus, dass etwa 10 % aller Erbschaften in Europa einen solchen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen. Die hierdurch entstehenden Probleme zu lösen ist Zweck der neuen europäischen Rechtsverordnung, die jüngst erlassen worden ist.
A. Problemstellung
Grenzüberschreitende Erbfälle sind seit jeher ein äußerst problematisches Rechtsthema. Die Vielzahl unterschiedlichster grundlegender Rechtsvorstellungen macht die Bearbeitung schwierig und für Berater haftungsträchtig. Bei Feststellung eines Auslandsbezuges kann nämlich keinesfalls ohne Weiteres die jeweils inländische Rechtsordnung angewandt werden. Dies betrifft sowohl die Fragen der Gestaltung einer letztwilligen Verfügung vor Eintritt eines Erbfalls wie auch die Frage, wer Erbe oder eventuell Pflichtteilsberechtigter eines ausländischen Erblassers ist, welche erbrechtlichen Wirkungen unter Berücksichtigung der Güterstände bei Ehegatten eintreten oder die Frage, welche Gerichte zuständig sind bzw. wie ein Erbe sein Erbrecht nachweisen kann. In Europa finden sich hierzu unzählige unterschiedliche materiellrechtliche Bestimmungen genauso wie Vorschriften über die internationale Zuständigkeit und das anwendbare Recht. Ebenso vielfältig sind die Behörden, die mit einem internationalen Erbfall befasst werden. Eine in Betracht kommende Nachlassspaltung steht dem Grundsatz der Freizügigkeit in der Europäischen Union entgegen. In der Folge hat sich der europäische Verordnungsgeber veranlasst gesehen, Regelungen zu schaffen, die es den in der Europäischen Union ansässigen Personen ermöglichen sollen, geeignete Nachlassregelungen zu treffen, um die Rechte potenziell begünstigter Personen zu wahren. Die im März vom Europäischen Parlament erlassene Rechtsverordnung soll Klarheit bringen, welches Erbrecht für die grenzüberschreitenden Erbfälle gilt, um die geschätzten 450.000 Erbfälle mit Auslandsbezug und einem geschätzten Volumen von 123 Milliarden EUR einheitlicher und effektiver behandeln zu können.
B. Überblick über die Entwicklungsgeschichte
Den "Startschuss" für die europäische Erbrechtverordnung gab im November 2002 das deutsche Notarinstitut, das zu diesem Zeitpunkt eine von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie mit dem Titel "Internationales Erbrecht in der EU" vorgelegt hat. Doch erst im Oktober 2009 nahm die europäische Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments an. Nach der Verabschiedung von politischen Leitlinien durch den Rat "Justiz und Inneres" erfolgten verschiedene Stellungnahmen, die zu einem Berichtsentwurf vom 13.2.2011 des Berichterstatters für den Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments, Kurt Lechner, führten. Am 9.6.2011 wurde dann im Rat "Justiz und Inneres" eine Einigung über die vorgeschlagene Verordnung erzielt, der die textliche Einigung im Dezember 2011 des genannten Rates folgte. Am 1.3.2012 wurde der Berichtsentwurf zur geplanten Erbrechtsverordnung dann vom Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments angenommen. Nach der Aussprache im Europäischen Parlament am 12.3.2012 nahm das europäische Parlament dann einen Tag später den Vorschlag der Kommission für eine ErbrechtsVO KOM/2009/154 an. Der Ministerrat hat am 8.6.2012 formal zugestimmt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Verordnung dann für alle Erbfälle mit Auslandsbezug ab dem Tag der Zustimmung des Ministerrats gilt. Gemäß Art. 84 der Verordnung gilt sie erst 36 Monate nach dem Inkrafttreten der Verordnung. Dies bedeutet, dass die Verordnung für Erbfälle etwa ab Mitte 2015 Wirkung entfalten wird.
C. Inhalt und Regelungsbereiche
Mit der Verordnung wird aus inländischer Sicht eine Abkehr des hier grundsätzlich vorherrschenden Staatsangehörigkeitsprinzips vorgenommen, wie es Art. 25 Abs. 1 EGBGB zugrunde liegt. Bisher wird bei Vorliegen eines Auslandsbezugs in erbrechtlichen Fällen auf die Staatsangehörigkeit des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes abgestellt. Nunmehr wird ein Paradigmenwechsel eingeläutet, hin zu einer Vorgehensweise, wie sie im angloamerikanischen Rechtskreis seit jeher angedeutet ist, nämlich hin zu dem Anknüpfungspunkt des letzten gewöhnlichen Aufenthalts, wobei bekanntermaßen der Begriff des Aufenthalts nicht mit dem "domicile" nach angloamerikanischem Recht gleichgestellt wird. Aus inländischer Sicht erfolgt damit die Aufgabe eines bislang klaren und eindeutigen Anknüpfungspunktes zugunsten eines möglicherweise schwierig und nur mit erheblicher Rechtsunsicherheit festzustellenden Anknüpfungspunkts, der Streitigkeiten zu provozieren scheint. Allerdings wird mit der Zuweisung von gerichtlichen und be...