ARBV § 2 Nr. 2a, 5
1. In der Reiserücktrittsversicherung stellt eine schwere postoperative Komplikation auch bei einer vorher bekannten Grunderkrankung und vorheriger Kenntnis einer anstehenden Operation einer Risikoperson eine unerwartet schwere Erkrankung bzw. eine unerwartete Verschlechterung einer bestehenden Erkrankung dar.
2. Die Obliegenheit zur unverzüglichen Stornierung der Reise ist nicht verletzt, wenn die Stornierung erst mit Ablauf einer dem Versicherten den Umständen nach zuzugestehenden Prüfungs- und Überlegungsfrist erfolgt.
OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.9.2009 – 12 U 155/09
Der Kläger und seine Ehefrau buchten am 4.6.2008 bei D eine vierwöchige Treckingreise nach Nepal vom 16.10.2008 bis 16.11.2008. Der Kläger stornierte sie am 15.10.2008, nachdem sich der Gesundheitszustand seines betagten Vaters, der schon seit längerem an Beschwerden litt, nach einer Operation vom 16.9.2008 Anfang Oktober dramatisch verschlechtert hatte.
Aus den Gründen:
"… 1. In Übereinstimmung mit dem LG ist davon auszugehen, dass mit Verlegung des Vaters von der Neurochirurgie in die Kardiologie am 16.9.2008 der Versicherungsfall i.S.v. § 2 Nr. 2a der ABRV eingetreten ist. Nach dieser Bestimmung ist der Versicherer u.a. dann leistungspflichtig, wenn infolge unerwarteter schwerer Erkrankung der Eltern bzw. Schwiegereltern des Versicherten diesem der planmäßige Antritt der Reise nicht zugemutet werden kann. Dies hat das LG rechtsfehlerfrei angenommen. Auf die zutreffenden Feststellungen kann insoweit Bezug genommen werden. Die postoperativen Komplikationen hatten am 16.9.2008 ein Ausmaß angenommen, welches Notfallmaßnahmen und die intensivmedizinische Betreuung des Vaters des Klägers erforderlich machten. Das Krankheitsbild kann ab diesem Stadium ohne Zweifel als "schwer’ bezeichnet werden.
Zu Recht hat das LG bei der Prüfung des Versicherungsfalles auf diese postoperativen Komplikationen als eigenständige Erkrankung abgestellt. Das Grundleiden des Vaters des Klägers im Sinne eines Wirbelgleitens im Bereich der Lendenwirbelsäule hat hierbei außer Betracht zu bleiben. Es ist daher auch unerheblich, ob und in welcher Intensität diese Beschwerden bei Buchung der Reise durch den Kläger am 4.6.2008 bereits vorlagen, denn hieran ist bei der Frage nach dem Versicherungsfall nicht anzuknüpfen, ebenso wenig an die Anfang September 2008 offensichtlich notwendig gewordene Operation im Bereich der Lendenwirbelsäule.
Der Vater des Klägers hatte sich bereits in den 80er-Jahren einer Spondylodese … unterzogen. Nunmehr (im September 2008) stand die Erweiterung (Dekompression) des Spinalkanals an, nachdem der Vater des Klägers seit geraumer Zeit wieder über massive Beschwerden in der Lendenwirbelsäule geklagt hatte. Die Wirbelsäulenprobleme stellten somit zwar eine Erkrankung dar, die unter den geschilderten Umständen allerdings ebenso wenig ‘unerwartet’ i.S.d. Versicherungsbedingungen war wie die hierdurch erforderlich werdende Operation im September 2008. Mit letzterer war zu rechnen, sie war für den Kläger als Durchschnittsbetrachter vorhersehbar (vgl. hierzu OLG Köln VersR 1991, 661; LG Berlin VersR 2003, 202). Insoweit konnte dieses Grundleiden nicht die Grundlage für eine Versicherungsleistung aus der Reiserücktrittsversicherung bilden, auch nicht in Form der notwendig werdenden Operation. Davon geht zutreffend auch das LG aus, der Kläger greift dies mit seiner Berufung auch nicht an.
Der Beklagten ist zuzugeben, dass die nach dem operativen Eingriff aufgetretenen Komplikationen in Zusammenhang stehen mit dem Grundleiden, das ja Anlass für die Operation überhaupt war. Gleichwohl sind sie als ‘unerwartet’ zu werten. Sie betreffen – worauf auch das LG zu Recht hingewiesen hat – zum Einen nicht das orthopädische Fachgebiet, sondern vielmehr das internistische und weisen zudem eine Schwere auf, die nach Sachlage in dieser Ausprägung nicht mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten war. Entscheidend ist, ob die überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein einer die Reisefähigkeit begründenden Krankheit zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Durchführung der Operation am 8.9.2008 sprach (vgl. Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl. 2004, § 1 ABRV Rn 16; OLG Köln a.a.O.). Davon kann nicht ausgegangen werden. Die Beklagte stellt in diesem Zusammenhang maßgeblich auf die Ausführungen in dem Arztbericht des Universitätsklinikums vom 23.10.2008 ab, wo unter der Rubrik ‘Anamnese’ ausgeführt ist, dass ärztlicherseits vor Durchführung der Dekompression des Spinalkanals auf die internistischen Komorbiditäten und das Alter des Patienten hingewiesen, das operative Vorgehen jedoch seitens des Patienten und seiner Angehörigen ausdrücklich gewünscht worden sei. Aus diesem Passus in dem Arztbericht lässt sich jedoch schon nicht entnehmen, auf welche konkreten Komplikationen auf internistischem Gebiet im Einzelnen überhaupt hingewiesen worden sein soll, ebenso wenig, mit welcher Wahrscheinlichkeit mit dem Auftreten entsprechender Probleme zu rechnen sein wür...