Rahmenbeschluss 2005/214/JI Art. 7 Abs. 2 Buchst. g und Art. 20 Abs. 3
Leitsatz
1. Art. 7 Abs. 2 Buchst. g und Art. 20 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates vom 24.2.2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen in der Fassung des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI des Rates vom 26.2.2009 sind dahin auszulegen, dass, nachdem eine Entscheidung über die Verhängung einer Geldbuße oder Geldstrafe nach den nationalen Rechtsvorschriften des Entscheidungsmitgliedstaats zugestellt wurde, die die Angabe enthält, dass und innerhalb welcher Frist ein Rechtsbehelf eingelegt werden kann, die Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats die Anerkennung oder Vollstreckung dieser Entscheidung nicht verweigern kann, sofern dem Betreffenden eine ausreichende Frist zur Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung eingeräumt wurde, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, wobei die Tatsache, dass das Verfahren zur Verhängung der fraglichen Geldbuße oder Geldstrafe den Charakter eines Verwaltungsverfahrens aufweist, keine Auswirkung hat.
2. Art. 20 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2005/214 in der Fassung des Rahmenbeschlusses 2009/299 ist dahin auszulegen, dass die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung über die Verhängung einer Geldbuße oder Geldstrafe wegen Zuwiderhandlungen gegen Straßenverkehrsvorschriften nicht verweigern kann, wenn eine solche Sanktion aufgrund einer Haftungsvermutung nach dem nationalen Recht des Entscheidungsmitgliedstaats gegen die Person verhängt wurde, auf deren Namen das betreffende Fahrzeug zugelassen ist, sofern diese Vermutung widerlegbar ist.
EuGH, Urt. v. 5.12.2019 – C-671/18
1 Hinweis:
I. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 2 Buchst. g und Art. 20 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates vom 24.2.2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (ABl 2005, L 76, S. 16) in der Fassung des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI des Rates vom 26.2.2009 (ABl 2009, L 81, S. 24) (im Folgenden: Rahmenbeschluss). Es ergeht im Rahmen eines Verfahrens, das das Centraal Justitieel Incassobureau, Ministerie van Veiligheid en Justitie (CJIB) (Zentrales Justizinkassobüro des Ministeriums für Sicherheit und Justiz [CJIB], Niederlande) (im Folgenden: Justizinkassobüro) betreibt, um in Polen die Anerkennung und Vollstreckung einer Geldbuße zu erreichen, die gegen Z.P. in den Niederlanden wegen einer Zuwiderhandlung gegen Straßenverkehrsvorschriften verhängt wurde.
II. Dazu die Pressemitteilung des EuGH Nr. 152/19 v. 5.12.2019: "Die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats kann die Anerkennung und Vollstreckung einer wegen eines Verkehrsdelikts gegen den Halter des Fahrzeugs verhängten Geldbuße nicht verweigern, sofern die entsprechende Haftungsvermutung widerleglich ist."
Der Betreffende muss jedoch ordnungsgemäß von der Entscheidung über die Verhängung eines Bußgeldes informiert werden und ausreichend Zeit zur Einlegung eines Rechtsbehelfs und Vorbereitung seiner Verteidigung haben.
Am 9.11.2017 wurde gegen Z.P. eine Geldbuße i.H.v. 232 EUR wegen eines Verkehrsdelikts in den Niederlanden verhängt. Dieses Delikt wurde vom Fahrer eines in Polen auf den Namen von Z.P. zugelassenen Fahrzeugs begangen. Nach der niederländischen Straßenverkehrsordnung liegt die Haftung, sofern nichts anderes nachgewiesen wird, bei der Person, auf deren Namen das Fahrzeug zugelassen ist. Die Entscheidung über die Verhängung der Geldbuße war durch Einwurf in den Briefkasten von Z.P. zugestellt worden. In ihr war angegeben, dass die Rechtsbehelfsfrist am 21.12.2017 ablaufe. Die Frist begann am Tag des Erlasses der Entscheidung. Da kein Rechtsbehelf eingelegt wurde, wurde die Entscheidung am 21.12.2017 rechtskräftig.
Mit Schreiben vom 24.5.2018 beantragte das niederländische Justizinkassobüro, das zum Ministerium für Sicherheit und Justiz gehört und u.a. für die Einziehung von Geldbußen wegen Straßenverkehrsverstößen zuständig ist, beim Sąd Rejonowy w Chełmnie (Rayongericht Chełmno, Polen) auf der Grundlage des insoweit maßgeblichen Rahmenbeschlusses der EU (Art. 7 Abs. 2 Buchst. g und Art. 20 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates vom 24.2.2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen [ABl. 2005, L76, S. 16] in der Fassung des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI des Rates vom 26.2.2009 [ABl. 2009, L81, S. 24]) die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung vom 9.11.2017.
Beim polnischen Gericht machte Z.P. geltend, dass er zum Zeitpunkt der beanstandeten Zuwiderhandlung das betreffende Fahrzeug bereits verkauft und seinen Versicherer entsprechend informiert habe. Er hat jedoch eingeräumt, die für die Zulassung des Fahrzeugs zuständige Behörde nicht informiert zu haben. Da ihm des Weiteren der Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung nicht bekannt sei, hat das polnische ...