StVZO § 31a; BGB § 133; VwGO § 42 Abs. 2
Leitsatz
Nicht eindeutige, d.h. auslegungsbedürftige Verwaltungsakte sind gem. der auch im öffentlichen Recht entsprechend anwendbaren Auslegungsregel des § 133 BGB auszulegen. Nach dieser Vorschrift ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen. Maßgeblich ist danach nicht der innere, bloß subjektive Wille des Sachbearbeiters einer Behörde, sondern der objektive Gehalt der Erklärung, d.h. der in der Willenserklärung der Verwaltung zum Ausdruck kommende erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte bzw. nach Treu und Glauben verstehen musste und durfte (sog. Empfängerhorizont). Unklarheiten bei der Ermittlung des so zu bestimmenden objektiven Erklärungsinhaltes einer Willenserklärung/eines Verwaltungsaktes gehen zu Lasten der Verwaltung.
(Leitsatz der Schriftleitung)
Hessischer VGH, Beschl. v. 8.10.2019 – 2 B 1758/19
Sachverhalt
Nachdem RA R. seinen Mandanten im OWi-Verfahren vertreten hatte und dieses Verfahren eingestellt wurde, weil der Fahrer nicht ermittelt werden konnte, erging im Rahmen des sich dann anschließenden Verfahrens um den Erlass einer Fahrtenbuchanordnung gem. § 31a StVZO eine Anhörung. Dem daraufhin gestellten Akteneinsichtsgesuch von RA R. kam die Behörde nicht nach. Die Behörde verfügte dann am 17.5.2019 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den Erlass eines Fahrtenbuchs.
Dieses Schreiben ist an das Büro der "Anwaltskanzlei RA R. und Kollegen" gerichtet:
Zitat
"Sehr geehrter Herr RA R. …"
Gem. § 31a StVZO … ergeht gegen Sie folgende Verfügung: …
1. Ihnen wird die Führung eines Fahrtenbuchs für das auf die Fa. Ihres Mandanten zugelassene Kfz … für die Dauer von 6 Monaten … auferlegt.“
RA R. stellte daraufhin im eigenen Namen einen Antrag auf Aufhebung der sofortigen Vollziehung. Hiergegen wandte sich die Behörde unter Hinweis auf die fehlende Aktivlegitimation von RA R. Dabei führt sie an:
Zitat
"… obgleich sich der Bescheid seinem Wortlaut nach an ihn selbst und nicht an seine Mandantschaft zu richten scheint, trifft dies im Ergebnis nicht zu. Es handelt sich insoweit um ein Versehen der handelnden Behörde, das nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheides führt. …"
Da VG Gießen hat sich mit Beschl. v. 18.7.2019 – 6 L 2232/19.GI der Auffassung der Behörde angeschlossen und den Antrag von RA R. abgelehnt. Der HessVGH hat die aufschiebende Wirkung der Klage von RA R. wiederhergestellt.
2 Aus den Gründen:
"… Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 17.5.2019, mit dem dem Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Führung eines Fahrtenbuchs für das Kfz mit dem amtlichen Kennzeichen … aufgegeben wurde, ist wiederherzustellen. Nach der in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen und möglichen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist diese Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs nicht rechtmäßig mit der Folge, dass dem Interesse des Antragstellers, zukünftig – bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über seine Anfechtungsklage – 6 K 2301/19.Gl – von dieser verkehrsrechtlichen Maßnahme verschont zu bleiben, Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse einzuräumen ist."
Nach § 31a Abs. 1 StVZO kann die Straßenverkehrsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Straßenverkehrsvorschriften nicht möglich ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser gesetzlichen Vorschrift sind hier nicht erfüllt, weil der Antragsteller zum maßgeblichen Zeitpunkt am 18.11.2018, an dem mit dem Kfz mit dem amtlichen Kennzeichen … ein Verkehrsverstoß begangen wurde – auch nach Auffassung des VG –, unstreitig nicht Halter dieses Kfz war und auch gegenwärtig nicht ist. Die Anordnung gem. § 31a Abs. 1 StVZO, ein Fahrtenbuch zu führen, kann jedoch nur gegenüber dem Fahrzeughalter erfolgen.
Entgegen der Auffassung des VG ist der Antragsteller gem. § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt (und klagebefugt). Der Begründung des erstinstanzlichen Gerichts, der am 28.5.2019 vom Antragsteller gem. § 80 Abs. 5 VwGO im eigenen Namen gestellte Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sei unzulässig, weil nach Auslegung der streitgegenständlichen Anordnung des Antragsgegners vom 17.5.2019 nicht der Antragsteller, sondern die Halterin des Kfz mit dem amtlichen Kennzeichen … Inhalts-Adressat(in) dieses Verwaltungsaktes sei, vermag sich das Beschwerdegericht nicht anzuschließen.
Nicht eindeutige, das heißt auslegungsbedürftige Verwaltungsakte – wie hier die Anordnung des Antragsgegners vom 17.5.2019 – sind gem. der auch im öffentlichen Recht entsprechend anwendbaren Auslegungsregel des § 133 des BGB auszulegen. Nach dieser Vorschrift ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen. Maßgeblich ist danach nicht der innere, bloß subjektive Wille des Sachbearbeiters ei...