Unzulässige Fahrtenbuchauflage nach Verkehrsverstoß

Die Auflage, ein Fahrtenbuch zu führen, ist unzulässig, wenn die Behörde wegen des unaufgeklärten Verkehrsverstoßes keine zumutbaren eigenen Ermittlungen angestellt hat.

Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat sich in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausführlich mit den Voraussetzungen einer Fahrtenbuchanordnung auseinandergesetzt.

Gesetzliche Regelung

Nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO kann die zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.

Geschwindigkeitsüberschreitung um 26 km/h

Im konkreten Fall wurde mit dem Pkw der Klägerin die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften um 26 km/h überschritten. Dies führt in der Regel zu einem Bußgeld in Höhe von 180 EUR sowie zur Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister. Im Wiederholungsfall kommt ein Fahrverbot von einem Monat hinzu.

Fahrer auf Radarfoto gut erkennbar

Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte durch eine stationäre Radarkontrolle. Auf dem Radarfoto war deutlich zu erkennen, dass die Klägerin nicht selbst gefahren war. Als Fahrer war ein junger Mann abgebildet. Die Klägerin berief sich im schriftlichen Anhörungsbogen auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht.

Fahrtenbuchanordnung wegen nicht ermitteltem Fahrzeugführer

Der Außendienst der zuständigen Behörde suchte daraufhin die Klägerin an ihrem Wohnort auf, traf sie dort jedoch nicht an. Daraufhin erteilte der zuständige Kreis der Klägerin die Auflage, für die Dauer von 12 Monaten ein Fahrtenbuch zu führen.

Klage der Fahrzeughalterin gegen Fahrtenbuch

Die Klägerin erhob gegen diese Fahrtenbuchauflage Klage vor dem VG und machte geltend, der Fahrer sei ihr in ihrem Haushalt lebender Sohn gewesen. Gleichzeitig beantragte sie, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Fahrtenbuchauflage wiederherzustellen. Auf die Beschwerde der Klägerin gegen die ablehnende Entscheidung des VG auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, gab das OVG dem Begehren der Klägerin statt.

OVG hält Erfolgsaussichten der Klage für hoch

Zur Begründung verwies der Senat auf die überwiegend positiven Erfolgsaussichten der Klage. Nach Einschätzung des Gerichts lagen die Voraussetzungen des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO für eine Fahrtenbuchauflage nicht vor. Die Anordnung der Führung eines Fahrtenbuchs setze voraus, dass nach einem Verkehrsverstoß die Feststellung des Täters nicht möglich ist. Dies sei der Fall, wenn die Bußgeldbehörde den Täter unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls trotz angemessener und zumutbarer Aufklärungsmaßnahmen nicht habe ermitteln können.

Behörde muss Aufklärung betreiben

Zu den zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen der Bußgeldbehörde gehört nach der Entscheidung des OVG, dass die Behörde

  • den Fahrzeughalter umgehend über den Verkehrsverstoß benachrichtigt und
  • zur Mitteilung der Identität des Fahrers auffordert.

Dies begründe für den Halter die Obliegenheit, an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes nach den ihm zumutbaren Möglichkeiten mitzuwirken.

Fahrtenbuchanordnung dient der Gefahrenabwehr

Ist die Feststellung des Fahrzeugführers nicht möglich, kommt es für die Zulässigkeit einer Fahrtenbuchauflage nicht darauf an, ob der Fahrzeughalter seine Mitwirkungspflicht erfüllt hat oder nicht. Dies folge daraus, dass die Fahrtenbuchauflage keine strafende Funktion, sondern eine rein präventive Funktion hat. Sie stelle eine der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dienende Maßnahme der Gefahrenabwehr da, mit der erreicht werden soll, dass künftige Feststellungen eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung ohne Schwierigkeiten möglich sind.

Bußgeldbehörde war zu passiv

Im vorliegenden Fall hat die Bußgeldbehörde nach Auffassung des OVG nicht die ihr zumutbaren Bemühungen zur Ermittlung des Fahrzeugführers getätigt. Ihr habe ein Tatfoto in guter Qualität vorgelegen. Die Berufung der Klägerin auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht habe für einen Täter aus dem Familienkreis gesprochen. Vor diesem Hintergrund hätte die Bußgeldbehörde nach Auffassung des Senats ohne großen Aufwand eine Anfrage an die Meldebehörde stellen können, ob Familienangehörige unter derselben Anschrift wie die Klägerin gemeldet sind. Nach einer positiven Auskunft wäre der Behörde dann ein Fotoabgleich mit den Lichtbildern aus dem Personalausweisregister möglich gewesen, was im konkreten Fall zu einem unmittelbaren Tatverdacht gegenüber dem Sohn der Klägerin geführt hätte.

Bußgeldbehörde muss keinen großen Ermittlungsaufwand betreiben

Das OVG betonte in seiner Entscheidung, dass die Bußgeldbehörde nicht verpflichtet ist, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen einzuleiten. Dies sei im Hinblick auf die erforderlichen wenigen Anfragen bei anderen Behörden hier aber nicht der Fall gewesen.

Fahrtenbuchanordnung war rechtswidrig

Da die Bußgeldbehörde nicht die ihr zumutbaren eigenen Ermittlungen angestellt hat, waren die Voraussetzungen für eine Fahrtenbuchauflage gemäß § 31 a Abs. 1 StVZO nicht gegeben. Im Hinblick auf die hierdurch bestehenden überwiegenden Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache stellte das OVG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Fahrtenbuchauflage wieder her.

(OVG Münster, Urteil v. 2.5.2023, 8 A 2361/22)


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