"Die zulässige Berufung der Bekl. hat in der Sache weitestgehend keinen Erfolg."
Das LG ist – jedenfalls im Ergebnis – zu Recht davon ausgegangen, dass sich ein unfallursächlicher Sorgfaltsverstoß des Kl. nicht feststellen lässt und deshalb die auf seiner Seite lediglich verbleibende allgemeine Betriebsgefahr des von ihm gehaltenen und geführten Fahrzeugs hinter die des vom Bekl. zu 1 gehaltenen und geführten Fahrzeugs, die durch dessen grob sorgfaltswidriges Verhalten stark erhöht war, zurücktritt, weshalb die Bekl. dem Kl. als Gesamtschuldner für die Folgen des streitgegenständlichen Unfalls in vollem Umfang einzustehen haben (§ 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG). Das Verschulden des Bekl. zu 1 begründet auch eine entsprechende deliktische Haftung (§ 823 BGB) der Bekl.
1. Insb. lässt sich – entgegen der Auffassung der Berufung – ein Vorfahrtsverstoß des Kl. (§ 8 StVO) nicht feststellen (§ 286 ZPO).
a) Ein wie der Kl. aufgrund der am Unfallort bestehenden Vorfahrtsregelung durch Verkehrszeichen (Zeichen 205: “Vorfahrt gewähren', § 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StVO) wartepflichtiger Verkehrsteilnehmer darf nur dann – in die bevorrechtigte Straße – weiterfahren, wenn er übersehen kann, dass Vorfahrtsberechtigte weder gefährdet noch wesentlich behindert werden (§ 8 Abs. 2 S. 2 StVO). Die gesteigerte Sorgfaltspflicht des Wartepflichtigen, von dem verlangt wird, dass er grds. mit Misstrauen an die Vorfahrtstraße heranfährt und im Zweifel wartet, bringt es mit sich, dass er sich auf den Vertrauensgrundsatz nur in eingeschränkter Weise berufen kann (vgl. BGH, Urt. v. 26.9.1995 – VI ZR 151/94 [juris Rn 16] m.w.N.) Auf das Ausbleiben von groben Verkehrsverstößen darf indes auch ein Wartepflichtiger vertrauen (vgl. BGH, Urt. v. 26.9.1995 – VI ZR 151/94 [juris Rn 16]; Hentschel/König/Dauer, StVR, 45. Aufl. 2019, § 8 StVO Rn 54a m.w.N.). So darf ein Wartepflichtiger insb. auch regelmäßig darauf vertrauen, dass Überholverbote und Fahrstreifenbegrenzungen auf der Vorfahrtsstraße beachtet werden (vgl. Hentschel/König/Dauer, StVR, 45. Aufl. 2019, § 8 StVO Rn 54a m.w.N.). Wenn der Wartepflichtige die auf der Vorfahrtsstraße herannahenden Fahrzeuge sehen kann, muss und darf sich dieser – bei Fehlen anderweitiger Anzeichen – ferner auch darauf verlassen, dass aus einer sich nähernden Fahrzeugkolonne nicht ein Fahrzeug plötzlich zum Überholen ausschert (vgl. BGH, Urt. v. 26.9.1995 – VI ZR 151/94 [juris Rn 18]; Urt. v. 15.6.1982 – VI ZR 119/81 [juris Rn 8]).
b) Letzteres gilt auch vorliegend: Nach dem – zumindest nicht widerlegten – Vorbringen des Kl. hatte dieser die sich (für ihn) von links nähernde Fahrzeugkolonne einschließlich des Fahrzeugs des Bekl. zu 1 im Blick, aus der letzterer zu dem Zeitpunkt, als er – der Kl. – in die bevorrechtigte Straße einfuhr, noch nicht zum Überholen ausgeschert war. Der vom LG beauftragte verkehrstechnische Sachverständige hat in seinem Gutachten, hinsichtlich dessen beide Parteien weder Einwendungen erhoben noch eine Ergänzung beantragt haben, hierzu – wie in der mündlichen Verhandlung erörtert – keine gegenteiligen Feststellungen getroffen. Zwar kann der Wartepflichtige bei einer auf der vorfahrtsberechtigten Straße befindlichen, für ihn erkennbaren Fahrzeugkolonne nicht (mehr) darauf vertrauen, dass kein darin befindliches Fahrzeug zum Überholen ausscheren wird, wenn Anzeichen für einen solchen Überholvorgang vorhanden sind. Im Ansatz zutreffend lassen die Bekl. auch darauf hinweisen, dass ein Anzeichen dieser Art – u.a. – eine besonders geringe, zum Überholen herausfordernde Geschwindigkeit – dem Überholer – vorausfahrender Fahrzeuge sein kann (vgl. BGH, Urt. v. 26.9.1995 – VI ZR 151/94 [juris Rn 17]; Urt. v. 15.6.1982 – VI ZR 119/81 [juris Rn 8] m.w.N.). Es kann insoweit dahin stehen, ob vorliegend eine solche Geschwindigkeit des vom Zeugen P.M. geführten Fahrzeugs an der Spitze der Kolonne erwiesen ist. Denn selbst wenn man dies annimmt, musste der Kl. – beim Einfahren in die bevorrechtigte Straße – dennoch nicht damit rechnen, dass der Bekl. zu 1 mit dem von ihm geführten Fahrzeug über die an die – aus Sicht des Kl. – an den Einmündungsbereich angrenzende Sperrfläche überholen würde (vgl. auch – zu Fahrstreifenbegrenzungen – Hentschel/König/Dauer, StVR, 45. Aufl. 2019, § 8 StVO Rn 54a m.w.N.).
c) Zu Unrecht berufen sich die Bekl. schließlich auf einen gegen den Kl. sprechenden ersten Anschein einer Vorfahrtsverletzung. Die Anwendung des Anscheinsbeweises setzt – auch bei Verkehrsunfällen – Geschehnisse voraus, bei denen sich nach allgemeiner Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat; es muss sich um Tatbestände handeln, für die nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verletzung typisch ist (vgl. BGH, Urt. v. 16.12.2016 – VI ZR 6/15 …). Dabei reicht allein das “Kerngeschehen' – hier: Kollision des Wartepflichtigen mit einem Berechtigten im Bereich der vorfahrtsberechtigten Str...