RL 2006/126/EG Art. 2 Abs. 1 Art. 7 Abs. 1 Buchst. e; FeV § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 § 230 Abs. 2 S. 1
Leitsatz
1. Die Begründung eines Wohnsitzes erst kurz vor der Ausstellung eines Führerscheins und die Auskunft der zuständigen Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats, der Inhaber habe nicht mindestens 185 Tage pro Kalenderjahr am Ort der Meldung gelebt, sind Hinweise aus vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen, die die durch die Führerscheinausstellung begründete Annahme eines ordentlichen Wohnsitzes erschüttern. Sie rechtfertigen eine Einbeziehung aller Umstände, also auch der Informationen aus Quellen, die nicht vom Ausstellungsmitgliedstaat herrühren.
2. Für die Begründung von Zweifeln am Wohnsitzerfordernis reicht es nicht aus, wenn die Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats mitteilen, dass sie die Wohnsitzvoraussetzungen nicht geprüft hätten (EuGH, Beschl. v. 9.7.2009 – C-445/08, Wierer). Die bloße Nichtprüfung schafft kein positives Indiz, das zur Erschütterung der durch die Führerscheinausstellung begründeten Vermutung erforderlich wäre. Entsprechendes gilt daher für die Auskunft, dass Einzelheiten zu den tatsächlichen Gegebenheiten der Wohnsitznahme nicht bekannt sind (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 9.1.2018 – 16 B 534/17; zu weitgehend daher OVG Koblenz, Beschl. v. 15.1.2016 – 10 B 11099/15 – NJW 2016, 2052 sowie OVG Lüneburg, Beschl. v. 20.3.2018 – 12 ME 15/18 – zfs 2018, 296 = NJW 2018, 1769).
(Leitsatz 1: amtlicher Leitsatz; Leitsatz 2: Leitsatz der Schriftleitung)
BVerwG, Beschl. v. 24.10.2019 – BVerwG 3 B 26.19
Sachverhalt
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen deutsche Behörden und Gerichte davon ausgehen dürfen, dass der Inhaber eines von einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz zum Zeitpunkt der Ausstellung nicht im Ausstellungsmitgliedstaat hatte.
2 Aus den Gründen:
"…"
[14] 2. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde des Kl. bleibt ohne Erfolg. Sie hat weder eine grds. bedeutsame Rechtsfrage (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch den behaupteten Verfahrensmangel des Berufungsurteils (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) aufgezeigt.
[15] a) Die von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen zum Umtausch einer EU-Fahrerlaubnis und insb. zu den Voraussetzungen, unter denen deutsche Behörden und Gerichte davon ausgehen dürfen, dass der Inhaber eines von einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz zum Ausstellungszeitpunkt nicht im Ausstellungsmitgliedstaat hatte, sind in der Rechtsprechung bereits geklärt, soweit sie einer grundsätzlichen Klärung zugänglich sind. Neuen oder zusätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Ihre Angriffe zielen in der Sache vielmehr auf die Würdigung des Einzelfalls durch das BG.
[16] aa) Nach § 30 Abs. 2 S. 1 FeV v. 13.12.2010 (BGBl I S. 1980) in der hier maßgeblichen aktuellen Fassung vom 11.3.2019 (BGBl I S. 218) setzt der Umtausch keine gültige EU-Fahrerlaubnis voraus. Da der Betr. nach einem Wohnsitzwechsel keine Verlängerung im Ausstellungsmitgliedstaat mehr erhalten kann, hätte das Erfordernis einer bestehenden Gültigkeit zur Folge, dass der Betr. nach Ablauf der Geltungsdauer seines Führerscheins eine Fahrerlaubnis nur noch unter den Bedingungen der Ersterteilung im neuen Wohnsitzmitgliedstaat erhalten könnte. Dies erschien dem Verordnungsgeber als unzulässige Beeinträchtigung der Freizügigkeit (vgl. BR-Drucks 443/98 S. 288 f.). Eine befristete EU-Fahrerlaubnis der Klassen A und B (einschließlich ihrer Unterklassen AM, A1, A2, BE und B1) kann daher gem. § 30 Abs. 2 S. 1 FeV auch noch umgetauscht werden, wenn ihre Gültigkeit nach Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes im Inland abgelaufen ist. Eine zeitliche Beschränkung sieht die Regelung nicht mehr vor (vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 30 FeV Rn 5).
[17] Für die Ausstellung eines deutschen Führerscheins auf der Grundlage einer EU-Fahrerlaubnis ist erforderlich, dass der Antragsteller Inhaber einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten EU- oder EWR-Fahrerlaubnis ist, die zum Führen von Kfz im Inland berechtigt oder berechtigt hat (§ 30 Abs. 1 S. 1 FeV). Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, ergibt sich im vorliegenden Fall des Wohnsitzwechsels aus § 28 FeV. Danach dürfen die Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, im Umfang ihrer Berechtigung Kfz im Inland führen, sofern keiner der in § 28 Abs. 4 FeV normierten Ausnahmetatbestände vorliegt.
[18] bb) Nach § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV gilt die Berechtigung, Kfz im Inland zu führen, nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler i.S.d. § 7 Abs. 2 FeV die Fahrerlaubnis...