"Ergänzend bemerkt der Senat:"
Das Ausbleiben eines Angeklagten in der gerichtlichen Hauptverhandlung ist nur dann i.S.d. §§ 412 S. 1, 329 Abs. 1 S. 1 StPO genügend entschuldigt, wenn ihm unter Abwägung aller Umstände des Falles wegen seines Ausbleibens billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.10.2009 – 1 Ss 126/08 – NStZ-RR 2010, 287; OLG Koblenz, Beschl. v. 27.7.2009 – 1 Ss 102/09 – StV 2010, 477). Dabei ist grds. eine weite Auslegung zugunsten des Angeklagten geboten, insb. dann, wenn es [sich] bei der Verhandlung über den Einspruch gegen einen Strafbefehl um den ersten Zugang des Angeklagten zum Gericht handelt und eine Verwerfung des Einspruchs die Gefahr einer materiell-rechtlich unrichtigen Verurteilung in sich birgt. Es kommt daher nicht darauf an, ob sich der Angeklagte entschuldigt hat, sondern ob er entschuldigt ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. 2019, § 329 Rn 19 m.w.N. und § 412 Rn 6). Bei der gebotenen weiten Auslegung des Rechtsbegriffs der genügenden Entschuldigung sind die konkreten Umstände des Einzelfalls und die objektiven und subjektiven Verhältnisse des Angeklagten zu berücksichtigen. Sie sind mit dessen öffentlich-rechtlicher Pflicht abzuwägen, auf ordnungsgemäße Ladung in der Hauptverhandlung zu erscheinen.
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann der Angeklagte nicht damit gehört werden, er sei davon ausgegangen, dass wegen des am Vorabend des Terminstags von seinem Mitangeklagten gegen den erkennenden Richter angebrachten Ablehnungsgesuches der Termin zur Hauptverhandlung nicht stattfinden werde.
Zwar hat ein abgelehnter Richter vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten (§ 29 Abs. 1 S. 1 StPO). Wird ein Richter vor Beginn der Hauptverhandlung abgelehnt und würde eine Entscheidung über die Ablehnung den Beginn der Hauptverhandlung verzögern, kann diese jedoch vor der Entscheidung über die Ablehnung durchgeführt werden, bis der Staatsanwalt den Anklagesatz verlesen hat (§ 29 Abs. 1 S. 2 StPO). Damit bestand für den Strafrichter aufgrund des Ablehnungsgesuches des Mitangeklagten keine zwingende – sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebende – Veranlassung, den Termin zur Hauptverhandlung aufzuheben. Selbst wenn die Durchführung des Verfahrens gegen den Mitangeklagten aufgrund des Ablehnungsgesuches nicht wie geplant möglich gewesen wäre, so kommt jederzeit, insb. noch am Terminstag und nach Aufruf der Sache, die Abtrennung des Verfahrens gegen den Mitangeklagten in Betracht, um die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten wie geplant stattfinden zu lassen, ohne dass darin – wie die Revisionsbegründung meint – ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens bestehen würde.
Unter diesen Umständen kann das Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter, in der sein Einspruch gegen den Strafbefehl verworfen wurde, nicht als entschuldigt angesehen werden. Weder entfiel durch das Ablehnungsgesuch die Verpflichtung, zur Hauptverhandlung zu erscheinen oder sich zumindest durch einen Verteidiger gem. § 411 Abs. 2 StPO vertreten zu lassen. Noch durfte er auf eine Terminsaufhebung vertrauen, zumal das Ablehnungsgesuch nicht von ihm selbst, sondern von dem Mitangeklagten angebracht wurde. Unabhängig von der Frage, ob das Gericht überhaupt dazu verpflichtet gewesen wäre, konnte der Angeklagte auch nicht davon ausgehen, dass das Gericht rechtzeitig der von der Verteidigerin des Mitangeklagten in dem Ablehnungsgesuch geäußerten Erwartung, dass der Termin aufgehoben werde, widerspricht. Vielmehr oblag es dem – weniger als 40 km vom Gerichtsort entfernt wohnenden – Angeklagten bei dieser Sachlage, am Morgen des Terminstages beim Gericht nachzufragen, ob die Hauptverhandlung wie angesetzt stattfindet. Ein kurzes Telefonat ist auch unter Berücksichtigung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör und ein rechtsstaatlich faires Verfahren zumutbar (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.5.2001 – 2 BvR 404/01 –, Rn 3 juris).
Im Übrigen würde nichts anderes gelten, wenn – wie die Revisionsbegründung meint – in dem Ablehnungsgesuch auch ein Antrag auf Terminsverlegung zu sehen wäre (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.11.1994 – 2 Ws 215/94 – Justiz 1995, 98; OLG München, Beschl. v. 8.9.2005 – 5St RR 066/05 – NStZ-RR 2006, 20; KG, Beschl. v. 30.7.2014 – 3 Ws (B) 255/14 – VRS 127, 164).“
zfs 1/2020, S. 46 - 47