VVG § 180 § 182 § 186; AUB 2011 Nr. 2.1.1.1 2.1.2.2.1 2.1.2.2.3
Leitsatz
1. Die ärztliche Feststellung der Invalidität muss keine Aussage dazu enthalten, ob die Invalidität auch binnen der im Vertrag vorgesehenen Frist eingetreten ist.
2. Steht als erster unfallbedingter Körperschaden kein eigenständiger Strukturschaden in Rede, sondern nur die Aktivierung oder Akzentuierung einer vorbestehenden Erkrankung (hier: Arthrose), so ist der Nachweis einer unfallbedingten Invalidität erst geführt, wenn die Kausalität des Unfallereignisses für die Aktivierung oder Akzentuierung im Sinne des § 286 ZPO erwiesen ist.
OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.8.2022 – 5 U 97/20
1 Sachverhalt
Der Kl. hält bei der Bekl. seit dem 4.9.2015 einen von der Bekl. als "SorglosUnfallversicherung" bezeichneten Unfallversicherungsvertrag. Im Falle der Invalidität beträgt die (Grund-)Versicherungssumme 100.000 EUR mit "besonders erhöhter progressiver Invaliditätsstaffel bis 500 %"
Unter dem 22.9.2016 meldete der Kl. der Bekl. einen Unfall vom 22.1.2016 und gab an, gegen 23.30 Uhr an diesem Tag auf dem Bahnsteig der S.- haltesteile R. wegen "Blitzeis" ausgerutscht und auf die rechte Hand gestürzt zu sein. Als daraus resultierende Verletzung gab er "Bänderriß an Handwurzel" an. Die Bekl. bat den Kl. mit Schreiben vom 10.10.2016 um "schriftliche, fristgemäße Benachrichtigung", falls aufgrund des Unfalls Dauerfolgen verbleiben sollten.
Am 15.3.2017 erstellte der den Kl. behandelnde Orthopäde Dr. K. ein "Attest zur Vorlage bei der Unfallversicherung". Darin heißt es wörtlich: "Bei dem Unfall vom 21.1.2016 hat sich Herr B. eine Verletzung des rechten Handgelenkes zugezogen. Hieraus resultiert ein Dauerschaden, der ab sofort auf orthopädischunfallchirurgischem Fachgebiet gutachterlich beurteilt werden kann."
Dieses Attest übersandte der Kl. der Bekl. mit E-Mail vom 7.4.2017. Die Bekl. teilte dem Kl. mit Schreiben vom 29.6.2017 mit, sie könne keine Leistung in Aussicht stellen, weil kein zeitnaher Befund vorliege, der einen Erstkörperschaden durch das Unfallereignis vom 22.1.2016 belege. Selbst wenn die Bandverletzung des Kl. nur durch einen Unfall verursacht sein könne, sei kein Nachweis der Verursachung durch den Unfall vom 22.1.2016 geführt. Weiter wies die Bekl. auf eine nach dem Röntgenbefund vorliegende starke Arthrose und vorbestehende Beschwerden des Kl. am rechten Handgelenk hin.
2 Aus den Gründen:
1. Nach dem Ergebnis der von dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme ist allerdings davon auszugehen, dass es am 22.1.2016 zu einem Unfallereignis im Sinne der Bedingungen (Nr. 1.3 AUB 2011) gekommen ist, weil der Kl. gestürzt ist, was – unabhängig von der Ursache, die zu diesem Sturz geführt hat – ein plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) darstellt (vgl. BGH VersR 2011, 1135). Der Kl. und seine Ehefrau haben übereinstimmend und glaubhaft geschildert, sie seien mit der S. von einer Veranstaltung zurückgekehrt, und der Kl. sei bei Glatteis ausgerutscht und auf den Boden gestürzt. Die Glaubhaftigkeit dieser Angaben wird dabei durch die von der Bekl. hervorgehobenen Widersprüche nicht in Zweifel gezogen. Zwar haben der Kl. und die Zeugin unterschiedliche Orte bezeichnet, an denen der Kl. gestürzt ist – dem Kl. zufolge noch auf dem Bahnsteig, nach Angaben der Zeugin auf dem weiteren Nachhauseweg etwa 200 m entfernt von dem Bahnsteig, doch spricht diese Diskrepanz zwischen ihren Angaben eher gegen eine Absprache, ein tatsächlich nicht geschehenes Unfallereignis zu behaupten, was die Bekl. wohl unterstellen will. Wenn der Kl. und seine Ehefrau das Unfallereignis erfunden hätten, wäre viel eher zu erwarten, dass sie die Schilderung des Kerngeschehens, wozu namentlich der Ort des Sturzes zu zählen ist, exakt absprechen und es allenfalls bei Einzelheiten des Randgeschehens zu Widersprüchen kommt. Dass die Erinnerung des Kl. und die seiner Ehefrau in diesem Punkt nicht übereinstimmten, lässt sich im Übrigen zwanglos mit dem erheblichen Zeitraum erklären, der zwischen dem berichteten Geschehen und ihrer Vernehmung (fast sechs Jahre) verstrichen ist.
2. Ansprüche des Kl. auf eine Invaliditätsleistung scheitern auch nicht – anders als das LG angenommen hat – am Fehlen einer fristgemäßen und inhaltlich ausreichenden Feststellung der Invalidität durch einen Arzt, Zum einen entspricht die vom Kl. vorgelegte ärztliche Invaliditätsfeststellung nach Auffassung des Senats den an sie nach den Versicherungsbedingungen zu stellenden Anforderungen, und zum anderen wäre es der Bekl. – wenn man die ärztliche Bescheinigung für unzureichend erachten würde – nach Treu und Glauben verwehrt, sich hierauf zu berufen.
a. Gemäß Nr. 2.1.1.1 AUB 2011 in Verbindung mit der in Abschnitt Q. Nr. 1 BTU vorgesehenen besonderen Erweiterung der Invaliditätsfristen ist Voraussetzung für die Invaliditätsleistung, dass die versicherte Person durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist (Invalidität); ferner, dass die Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem...