"… II. Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch im Übrigen zulässig."
III. Die Berufung ist unbegründet. Das VG hat zu Recht die Klage des Kl. auf Verpflichtung des Beklagten zur Neuerteilung der Fahrterlaubnis abgewiesen …
2. … der Kl. [hat] keinen Anspruch auf Verpflichtung der Bekl. zur Neuerteilung der beantragten Fahrerlaubnis.
a. Das VG hat in seinem Urt. zutreffend ausgeführt, dass im Hinblick auf die Dauerbehandlung des Kl. mit Medizinal-Cannabis von einer regelmäßigen Einnahme von Cannabis im Sinne der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 der FeV und damit von einer Fahrungeeignetheit des Kl. auszugehen ist. …
b. Der Kl. kann die privilegierende Sonderregelung der Nr. 9.6.2 der Anlage 4 der FeV für die Dauerbehandlung mit Arzneimitteln nicht für sich in Anspruch nehmen.
Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6.3.2017 (BGBl I S. 403) Cannabis, das aus einem Anbau stammt, der zu medizinischen Zwecken unter staatlicher Kontrolle gemäß den Artikeln 23 und 28 Abs. 1 des Einheits-Übereinkommens von 1961 erfolgt, in die Anlage III des BtMG aufgenommen. Dadurch wurde (ausschließlich) Medizinal-Cannabis zu einem verkehrs- und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel. Dessen Verordnung ist auf Grundlage eines Privatrezepts möglich. Zusätzlich zur Verschreibungsfähigkeit schaffte der Gesetzgeber mit § 31 Abs. 6 SGB V die Möglichkeit der Erstattung der Behandlung mit Medizinal-Cannabis in der gesetzlichen Krankenversicherung. Vor diesem Hintergrund ist es rechtlich geboten, den Konsum von Medizinal-Cannabis aus dem Anwendungsbereich der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 der FeV herauszunehmen, wenn es sich um die bestimmungsgemäße Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels im Sinne der Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung v. 27.1.2014 (VkBl S. 110) in der Fassung vom 17.2.2021 (VkBl S. 198, in Kraft getreten am 1.6.2022) handelt (sog. Arzneimittelprivileg). Insoweit enthalten die Nrn. 9.4 und 9.6 der Anlage 4 der FeV speziellere Anforderungen für Eignungsmängel, die aus dem Gebrauch von psychoaktiven Arzneimitteln resultieren (vgl. BayVGH, Urt. v. 31.5.2023 – 11 ZB 23.152 – juris Rn 16 und v. 29.4.2019 – 11 B 18.2482 – juris Rn 23; OVG NRW, Beschl. v. 5.7.2019 – 16 B 1544/18 – juris Rn 2; VG Würzburg, Urt. v. 1.12.2021 – W 6 K 21.638 – juris Rn 39; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., § 2 StVG Rn 62a; Koehl in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl., § 11 FeV Rn 51, 59; zur Cannabiseinnahme im Rahmen einer ärztlich begleiteten Selbsttherapie vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 31.1.2017 – 10 S 1503/16 – juris Rn 14). Auf dieses Arzneimittelprivileg kann sich der Kl. nicht berufen.
aa. Die Dauerbehandlung des Kl. mit Medizinal-Cannabis führt grundsätzlich nur dann nicht im Sinne von Nr. 9.6 der Anlage 4 der FeV zum Verlust der Fahreignung wegen regelmäßigen Konsums (Nr. 9.2.1 der Anlage 4 der FeV), wenn die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist, das Medizinal-Cannabis zuverlässig nach der ärztlichen Verordnung eingenommen und die Medikamenteneinnahme ärztlich überwacht wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit zu erwarten sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (Beschl. des Senats v. 16.1.2023 – 13 S 330/22 – juris Rn 6 [hierzu Thielmann/Dietrich, GuP 2023, 100] und v. 8.7.2021 – 13 S 1800/21 – juris Rn 26; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 31.1.2017 – 10 S 1503/16 – juris Rn 8; BayVGH, Beschl. v. 2.5.2023 – 11 CS 23.78 – juris Rn 15; OVG Saarland, Beschl. v. 8.11.2021 – 1 B 180/21 – juris Rn 14; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., § 2 StVG Rn 62a). Der Kl., dem die Fahrerlaubnis mit bestandskräftigem Bescheid v. 8.12.2020 entzogen wurde und der nunmehr deren Neuerteilung begehrt, trägt die materielle Beweislast dafür, dass diese Voraussetzungen gegeben sind (vgl. OVG Saarland, Beschl. v. 8.11.2021 – 1 B 180/21 – juris Rn 15; BayVGH, Beschl. v. 16.1.2020 – 11 CS 19.1535 – juris Rn 22).
bb. Der Senat konnte sich bereits nicht davon überzeugen, dass bei dem Kl. eine Indikation zur Behandlung mit Medizinal-Cannabis besteht. Zwar ist der Einsatz von Medizinal-Cannabis als Heilmittel für das Leiden des Kl. geeignet (dazu unter (1).). Jedoch konnte der Kl. unter Berücksichtigung der dazu ergangenen Rspr. des BSG nicht hinreichend darlegen, dass die Verabreichung des Betäubungsmittels im Sinne einer ultima ratio zur Erreichung des Therapieziels unerlässlich ist (dazu unter (2).).
(1). Der verordnende Arzt muss aufgrund eigener Prüfung zu der Überzeugung gelangen, dass für den Einsat...