VVG § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 § 9 § 152; BGB § 242
Leitsatz
1. Eine in einem Vertrag über eine fondsgebundene Rentenversicherung wie folgt formulierte Belehrung über die Widerrufsfolgen: "Im Falle eines wirksamen Widerrufs endet der Versicherungsschutz und wir erstatten Ihnen den Rückkaufswert nach § 169 Versicherungsvertragsgesetz, mindestens jedoch die gezahlten Beiträge. Die Erstattung zurückzuzahlender Beträge erfolgt unverzüglich, spätestens 30 Tage nach Zugang des Widerrufs." setzt die Widerrufsfrist nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG nicht in Lauf, weil sie die Rechtsfolgen des Widerrufes nach §§ 9, 152 VVG unzureichend wiedergibt.
2. Die Treuwidrigkeit der Ausübung eines Widerrufsrechts bei fehlerhafter Belehrung kann nicht auf Umstände gestützt werden, die eine normale Vertragsdurchführung darstellen. (Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Rostock, Verfügung vom 11.4.2023 – 4 U 150/22
1 Aus den Gründen:
"… Die zulässige Berufung des Kl. gegen das Urteil des LG erscheint nach vorläufiger Einschätzung der Sach- und Rechtslage begründet."
A. Der Kl. dürfte einen Anspruch gegen die Bekl. auf Zahlung von weiteren – über den bereits im angefochtenen Urteil zugesprochenen Betrag hinsichtlich der Rückabwicklung der ersten fondsgebundenen Rentenversicherung zur Nr. YYY hinausgehenden – 1.657,72 EUR gemäß §§ 9 Abs. 1, 152 Abs. 1 VVG in Verbindung mit dem unstreitig zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag … haben …
2. Der Kl. hat den hier behandelten Versicherungsvertrag wirksam widerrufen. Denn sein Widerruf war entgegen der Auffassung des LG nicht verfristet; vielmehr hat die betreffende Frist gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG nicht zu laufen begonnen, weil die Bekl. den Kl. nicht entsprechend den Anforderungen dieser Vorschrift ausreichend über sein Widerrufsrecht belehrt hat. Dafür kann dahinstehen, ob der Belehrungstext unter formalen Gesichtspunkten ordnungsgemäß, d.h. deutlich gestaltet war; denn die Widerrufsbelehrung war jedenfalls inhaltlich defizitär, weil sie die Rechtsfolgen des Lösungsrechts nur ungenügend wiedergab.
a. Deren System unterliegt einer ausdifferenzierten Regelung zum einen unter Gesichtspunkt, ob der Versicherungsschutz mit Zustimmung des VN vor dem Ablauf der Widerrufsfrist beginnt, und zum anderen in Abhängigkeit davon, ob es sich um eine Lebensversicherung handelt.
aa. Übt der VN das Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 1 VVG aus und hat er – ausdrücklich oder konkludent – einem Beginn des Versicherungsverhältnisses vor dem Ende der Widerrufsfrist zugestimmt, hat der VR gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 VVG nur den auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallenden Teil der Prämien zu erstatten, wenn der VN in der Belehrung nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG auf sein Widerrufsrecht, die Rechtsfolgen des Widerrufs und den zu zahlenden Betrag hingewiesen worden ist; ist ein solcher Hinweis unterblieben, hat der VR gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 VVG zusätzlich die für das erste Jahr des Versicherungsschutzes gezahlten Prämien zu erstatten.
bb. Handelt es sich um eine Lebensversicherung, hat der VR nach § 152 Abs. 2 Satz 1 VVG abweichend von § 9 Abs. 1 Satz 1 VVG auch den Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile nach § 169 VVG zu zahlen; aus der Verwendung des Wortes "auch" ergibt sich, dass die grundsätzliche Erstattungspflicht aus § 9 Abs. 1 Satz 1 VVG im Hinblick auf den auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallenden Teil der Prämie erhalten bleibt (vgl. Langheid/Wandt-Heiss, MüKo VVG, 2. Aufl., 2017, § 152 Rn 13 …).
Im Falle von § 9 Abs. 1 Satz 2 VVG muss der VR den Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile oder, wenn dies für den VN günstiger ist, die für das erste Jahr gezahlten Prämien erstatten; daneben kann der VN ebenfalls die Rückzahlung desjenigen Beitragsanteils verlangen, welcher rechnerisch auf den Zeitraum nach Zugang der Widerrufserklärung entfällt, weil das Gesetz die fehlende Belehrung über das Maß dessen hinaus sanktionieren will, was dem VN aufgrund des Widerrufs bereits gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 VVG gebührt (vgl. Langheid/Rixecker-Grote, VVG, 7. Aufl., 2022, § 152 Rn 16 … ; a.A. unter Verweis auf den Wortlaut des § 152 Abs. 2 Satz 2 VVG und die Gesetzesbegründung, welche sich nur zu einem Wahlrecht zwischen Rückkaufswert und Prämienerstattung für das erste Jahr verhalte, Rüffer/Halbach/SchimikowskiBrambach, a.a.O., § 152 Rn 23, jeweils m.w.N.).
cc. Fehlt es an einer Zustimmung des VN zu einem vorzeitigen Vertragsbeginn im Verhältnis zu dem Ablauf der Widerrufsfrist, bleibt es für den Fall des Widerrufes dagegen bei den Rechtsfolgen der §§ 355 Abs. 1 Satz 1, 357 Abs. 1 Satz 1, 346 ff. BGB (vgl. Prölss/Martin-Armbrüster, a.a.O., § 9 Rn 2 m.w.N.).
b. Da die Bekl. nicht die Musterbelehrung in der Anlage zu § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. verwandt hat, greift die dortige Fiktion einer dann immer nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG ausreichenden Belehrung nicht ein; unter solchen Umständen ist stattdessen im Einzelfall zu entscheiden, ob die Belehrung unter Berücksichtigung bestehender Abweichungen von der Muster...