Auch unter einem weiteren Gesichtspunkt erscheint die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes ebenfalls in den Fällen gerechtfertigt, in denen der Angehörige nicht i.S.d. vorerwähnten BGH-Rechtsprechung erkrankt.
Ob psychische Beeinträchtigungen eines Opfers selbst zu Schmerzensgeld verpflichten, ist eigentlich eine klare Sache: Jede Beeinträchtigung des physiologischen und psychischen Zusammenspiels im Körper eines Menschen ist dasjenige, was Deutsch als eine Gesundheitsverletzung i.S.v. § 823 BGB definiert. Konsequenterweise ist dann ein Schmerzensgeld von der Rechtsprechung bei psychischen Beeinträchtigungen des Opfers vielfach bejaht worden; so etwa bei psychischen Dauerschäden eines Unfallopfers, die zur Berufsaufgabe führen.
Ob dies auch dann gilt, wenn den psychischen Beeinträchtigungen keine unmittelbare Verletzungshandlung des Schädigers gegen den Betroffenen zugrunde liegt, scheint eher eine Frage der Adäquanz zu sein. Anders als im Strafrecht führen nur diejenigen Schadensfolgen zu einer haftungsrechtlichen Konsequenz, die "nach der Lebenserfahrung einigermaßen nahe liegend" sind.
Wenn aber beispielsweise eine Frau auf die Nachricht vom Unfalltod ihres Mannes in Trauer verfällt, Schlafstörungen hat, in ihrer beruflichen Arbeitsleistung massiv beeinträchtigt ist und ihr Lebensfreude und Lebensmut genommen sind, dann ist dies eine Beeinträchtigung des physiologischen und psychischen Zusammenspiels im Körper eines Menschen, mithin eine Gesundheitsverletzung i.S.d. vorstehenden Definition. Wenn das so ist, sollte man eigentlich mit Recht von einem logischen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung sprechen dürfen. Denn wo liegt – bezogen auf die Adäquanz – der Grund, diesen Fall anders als denjenigen zu behandeln, in dem das verletzte Opfer selbst unter den gleichen Symptomen leidet?
Auf der Suche nach der Rechtfertigung der Linie des BGH ist man geneigt, dessen "Panik-im-Schweinestall-Fall" heranzuziehen: Ein Landwirt soll von dem Verursacher nicht Schadensersatz verlangen können, wenn auf Grund der Geräusche eines nahen Unfalls seine Schweine in Panik geraten und verenden; dies sei nämlich eine Konsequenz dieser Art der intensiven Viehhaltung. Kann das – auf die hier diskutierte Frage bezogen – bedeuten, den Schmerzensgeldanspruch der Witwe mit der Begründung zu verneinen, ihr Schockschaden sei bei wertender Betrachtung der Preis, den sie für die Unvernunft der Eheschließung zu zahlen hätte?
Wer einen nahestehenden Menschen verliert, erlebt eine unmittelbare Beeinträchtigung der eigenen Lebensführung. Der Grund für die eben beschriebenen Symptome ist die emotionale Nähe eines Menschen zu einem anderen. Das aber ist kein systemfremder Außenfaktor, der es rechtfertigen würde, von einem lediglich mittelbaren Schaden zu sprechen. Vielmehr haben wir es mit einem dem Menschen immanenten Wesenszug zu tun. Dieser bedarf gerade heute, in einer Zeit der Mini-Familien sowie zerfallender Gesellschaftsstrukturen, der Akzeptanz durch das Recht.
Neben den Diskussionen zum Grunde, wird auch die Frage nach der Höhe des Anspruchs als Argument herangezogen. Medicus begründet die Verneinung eines Angehörigenschmerzensgeldes u.a. damit, rechtspolitisch stünden einem solchen Anspruch auch Schwierigkeiten bei der Bezifferung entgegen. So hatte sich ja auch die Bundesjustizministerin eingelassen, und der Juristentag 2006 lässt ebenfalls dieses Argument anklingen.
Ich kenne keine Entscheidung, wonach Schwierigkeiten bei der Schadensbemessung ein Grund für die Ablehnung eines Ersatzanspruches dem Grunde nach ist. So geht es im Übrigen auch sonst nicht. Schon die Motive weisen auf die tatrichterliche Schätzungsbefugnis nach dem damaligen § 260 ZPO hin, und dieser Gedanke hat sich für derartige Fälle bis heute konkretisiert. Es gibt ja auch keine Norm, die einem Kunstfehler-Patienten genau das Schmerzensgeld zuspricht, das für seinen konkreten Fall etwa die ADAC-Schmerzensgeldtabelle hergibt; denn deshalb gibt es diese Tabelle.
Aus diesen Gründen vermag ich auch das Argument im Votum des 66. Deutschen Juristentages nicht zu teilen, wonach Schwierigkeiten bei der Schadensbemessung gegen die Zubilligung eines Angehörigenschmerzensgeldes dem Grunde nach sprächen.