Einleitung
Während der Vorbereitung der Schadensersatzrechtsreform im Frühjahr 2001 hat eine Gruppe auf die Vertretung von Katastrophenopfern spezialisierter Anwälte die damalige Bundesjustizministerin angeschrieben. Sie wollten einen Anstoß dazu geben, dass in Deutschland ein Anspruch auf Schmerzensgeld für den Verlust naher Angehöriger eingeführt wird, wie dieser in zahlreichen, auch europäischen, Ländern längst existiert. Die Antwort der Ministerin war deutlich: es sei – abgesehen von Praktikabilitäts- und Bemessungsfragen – sehr zweifelhaft, ob die Kommerzialisierung von Trauer und Leid bei der Tötung oder Verletzung von Angehörigen rechtsethisch und -politisch wünschenswert sei.
Daher ist es in Deutschland trotz der Schadensersatzrechtsreform bei der bisherigen Rechtslage geblieben, wonach ein derartiges Schmerzensgeld nur anerkannt wird, wenn die Trauer um den Verlust eines nahen Angehörigen derart intensive Folgen für den Anspruchsteller hat, dass sie Krankheitswert haben.
Nachfolgend soll überlegt werden, ob diese in Rechtsprechung und Literatur nahezu unverrückbar feststehende Auffassung ihre Berechtigung hat, weil das deutsche Schadensrecht nicht "amerikanisiert" werden darf, da die Ausweitung von Ersatzansprüchen auf derartige Fälle mit unseren rechtsethischen und -moralischen Prinzipien unvereinbar wäre; oder ob nicht die Anerkennung eines Angehörigenschmerzensgeldsanspruchs eine logische Weiterentwicklung des hiesigen Rechts ist.
1. Derzeitige Rechtslage und Diskussion
Nach der derzeitigen höchstrichterlichen Rechtsprechung in Deutschland reicht die "bloße" Trauer wegen des Verlustes eines nahen Angehörigen nicht aus, um dem Hinterbliebenen ein eigenes Schmerzensgeld zuzusprechen.
Liest man in zwei der tragenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs nach, findet sich zur Begründung der ablehnenden Haltung Erstaunliches. Das geltende Recht hätte – so die eine Entscheidung aus dem Jahre 1971 – bewusst und verbindlich entschieden, einen Anspruch für Schäden durch zugefügten seelischen Schmerz zu versagen, sofern dieser nicht wiederum Auswirkung der Verletzung des eigenen Körpers oder der eigenen Gesundheit sei. Sei eine psychisch vermittelte Gesundheitsbeeinträchtigung vom Täter nicht gewollt, sei – unabhängig von der herkömmlichen Adäquanzformel – eine Beschränkung auf solche Schäden erforderlich, die aus medizinischer Sicht und nach der allgemeinen Verkehrsauffassung Körper- oder Gesundheitsverletzungen sind.
Diese Begründung hat der Bundesgerichtshof in einer weiteren Entscheidung aus dem Jahre 1989 erweitert: die besagte gesetzgeberische Entscheidung ergebe aus der Existenz der §§ 844, 845 BGB, also derjenigen Bestimmungen, die bei Tod eines Menschen den Angehörigen Ersatz der Beerdigungskosten des entgangenen Unterhalts und der entgangenen Dienste gewähren. Im Übrigen sei die Deliktshaftung auf den Schaden der "unmittelbar" Verletzten beschränkt. Nur wenn der Angehörige an psychopathologischen Ausfällen von einiger Dauer leide, sein Schock auf den Unfalltod eines Angehörigen also eine nachhaltige traumatische Schädigung erreiche, die über das normale Lebensrisiko der menschlichen Teilnahme an den Ereignissen der Umwelt hinausgehe, könne von einer eigenen Verletzung und damit einem Schmerzensgeldanspruch die Rede sein. Das ist allerdings bisher nur in seltenen Fällen bejaht worden.
Im Jahr 2006 hat sich der 66. Deutsche Juristentag in Stuttgart ebenfalls mit der Frage der Einführung eines Angehörigenschmerzensgeldes befasst. Obwohl Wagner in seinem Gutachten zum Juristentag die Einführung eines Angehörigenschmerzensgeldes zur Harmonisierung des europäischen Privatrechts empfahl, hat sich der Juristentag bei der Abstimmung dagegen ausgesprochen. Für die Einführung eines Angehörigenschmerzensgeldes spreche zwar, dass es nicht einzusehen sei, jemanden, der in einen fassungslosen Zustand gerät anders zu behandeln, als den, der sein Leid in sich begräbt. Und: Die Zahlung eines solchen Betrages sei ein Respekt vor der Trauer der Hinterbliebenen, eine Geste, die daran erinnere, dass ein Tod mehr auslöst als Beerdigungskosten und entgehenden Unterhalt, eine Geste also, die unserer vielfach als kalt empfundenen Rechtsordnung gut stünde. Zur Begründung des letztlich negativen Votums wurde aber angeführt, dass die Schwierigkeiten bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unüberwindlich seien. Denn die Bewertung von Trauer bzw. die Abgeltung eines so höchstpersönlichen Verlustes übersteige die Möglichkeiten richterlicher Schadensschätzung. Zudem wurde die Auffassung vertreten, dass den Angehörigen eher die Bestrafung des Täters als ein Schmerzensgeld Genugtuung verschaffe.