StVG § 17; StVO § 14 Abs. 1
1. Die Sorgfaltsanforderung des § 14 Abs. 1 StVO erfasst auch Situationen, in denen der Insasse eines Kraftfahrzeugs sich im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter Tür in das Kraftfahrzeug beugt, um etwa Gegenstände ein- oder auszuladen oder einem Kind beim Ein- oder Aussteigen zu helfen.
2. Kommt es dabei zur Berührung der geöffneten Fahrzeugtür mit einem in zu geringem Abstand vorbeifahrenden Lkw, kann eine hälftige Schadensteilung gerechtfertigt sein.
BGH, Urt. v. 6.10.2009 – VI ZR 316/08
Im Oktober 2006 wurde die geöffnete hintere linke Tür des parkenden Pkw des Klägers durch einen vorbeifahrenden vom Beklagten zu 2) gesteuerten, bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Lkw beschädigt. Der Kläger verlangt von der Beklagten Ersatz des dadurch entstandenen Schadens.
Zum Unfallzeitpunkt parkte der Kläger sein Fahrzeug in einer Parkbucht. Diese ist zwei Meter, die Fahrbahn ist weitere 7 Meter breit. An dem Fahrzeug des Klägers war die hintere linke Tür z.T. geöffnet. Der Kläger stand in der geöffneten Tür, um sein auf dem linken hinteren Rücksitz sitzendes Kind abzuschnallen. Der Beklagte zu 2) fuhr mit seinem Lkw mit Anhänger an dem Pkw in einem Abstand von ca. 0,95 Meter vorbei. Dabei wurde die Tür des Pkw aus unbekanntem Grund, sei es durch den Kläger oder durch den Luftzug des vorbeifahrenden Lkw, weiter geöffnet. Der Lkw stieß deshalb mit dem Anhänger dagegen. Zum Zeitpunkt der Kollision hatte die Tür die maximale Öffnungsweite von einem Meter erreicht.
Das AG hat der Klage auf der Grundlage einer Quote von 40 : 60 zu Lasten der Beklagten stattgegeben. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg, auf die Anschlussberufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Verurteilung der Beklagten lediglich auf der Grundlage einer Quote von 50 : 50 gebilligt.
Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
“… I. … II. 1. …
[9] 2. Die hälftige Quotierung des Schadens durch das Berufungsgericht lässt entgegen der Ansicht der Revision keinen durchgreifenden Rechtsfehler erkennen. Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB oder des § 17 StVG ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zu Grunde gelegt worden sind (vgl. Senat vom 16.1.2007, VersR 2007, 557, 558; vom 23.1.2007, VersR 2007, 558, 559; vom 13.3.2007, VersR 2007, 1095, 1096, jeweils m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall.
[10] a) Die Revision beanstandet ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe das Verhalten des Klägers am Maßstab des § 14 Abs. 1 StVO gemessen.
[11] Nach dieser Vorschrift muss sich, wer ein- oder aussteigt, so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese Sorgfaltsanforderung gilt für die gesamte Dauer eines Ein- oder Aussteigevorgangs, also für alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit stehen, wobei der Vorgang des Einsteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre, der Vorgang des Aussteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre und dem Verlassen der Fahrbahn beendet ist (vgl. KG, NZV 2008, 245). Erfasst sind insbesondere auch Situationen, in denen der Insasse eines Kraftfahrzeugs sich im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter Tür in das Kraftfahrzeug beugt, um etwa Gegenstände ein- oder auszuladen oder – wie hier – einem Kind beim Ein- oder Aussteigen zu helfen (vgl. OLG Bremen NJW-RR 2008, 1203; OLG Düsseldorf vom 16.1.2006 – I-1 U 102/05 – juris Rn 5 ff.; OLG Hamburg OLGR 2005, 84; OLG Hamm NZV 2004, 408; LG Berlin VersR 2002, 864). Die Sorgfaltspflicht des § 14 Abs. 1 StVO beschränkt sich entgegen der Ansicht der Revision nicht ausschließlich auf solche Vorgänge, bei denen sich durch das unvorsichtige Öffnen einer Fahrzeugtür ein Überraschungsmoment für andere Verkehrsteilnehmer ergibt (in dieser Richtung allerdings OLG Bremen, a.a.O.; LG Berlin, a.a.O.). Das Gesetz stellt nicht auf das überraschende Öffnen einer Fahrzeugtür ab, sondern auf das Aus- und Einsteigen als solches, da ein solcher Vorgang aus unterschiedlichen Gründen mit erheblichen Gefahren für den fließenden Verkehr verbunden sein kann. Zwar ergeben sich die Gefahren beim Aussteigen vielfach daraus, dass eine Fahrzeugtür durch einen für den fließenden Verkehr nicht erkennbaren Fahrzeuginsassen überraschend geöffnet wird. Doch beschränkt sich der vom Gesetz erfasste Gefahrenkreis nicht ausschließlich darauf. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Sorgfaltsanforderung auch für Einsteigevorgänge gilt, bei denen der Einsteigende in der Regel für den fließenden Verkehr erkennbar ist.
[12] Im Streitfall beruht der Unfall auch darauf, dass der Kläger beim Aussteigen nicht die nötige Sorgfalt hat walten lassen. Entweder hat er, ohne auf den vorbeifahrenden Lkw zu achten, die Tü...