1. Einführung
Die Vollstreckung von Geldbußen und Geldstrafen, die auf Grund von Verkehrsverstößen in anderen EU-Mitgliedstaaten verhängt wurden, wurde im Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Europäischen Ministerrates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (RBGeld) vereinbart. Die Staaten verpflichteten sich zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses bis zum 22.3.2007. Die Bundesrepublik Deutschland ließ sich mit der Umsetzung allerdings etwas mehr Zeit, auch um rechtsstaatliche Bedenken aufzugreifen und im Umsetzungsgesetz zu berücksichtigen.
Am 28.10.2010 ist nunmehr das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses in Kraft getreten. Die Umsetzung erfolgte durch die Aufnahme neuer Bestimmungen, der §§ 86–87p in das IRG. Dort werden die Voraussetzungen der Vollstreckung und das Verfahren einschließlich des Rechtsmittels geregelt. Das Vollstreckungsverfahren wurde durch § 74 Abs. 1 S. 4 IRG für das gesamte Bundesgebiet dem Bundesamt für Justiz (BfJ) als zentrale Bewilligungsbehörde zugewiesen. Wird gegen die Entscheidung des BfJ Einspruch eingelegt, so entscheidet darüber grds. das für den Wohnsitz des Betroffenen zuständige AG.
2. Stichtagsregelung
§ 98 IRG enthält eine Stichtagsregelung. Demnach werden Geldsanktionen, die durch ein Gericht ausgesprochen wurden, nur vollstreckt, wenn die Entscheidungen nach dem 27.10.2010 rechtskräftig geworden sind. Bei Geldsanktionen, die von nicht gerichtlichen Behörden abschließend verhängt wurden, muss die behördliche Entscheidung über die Verhängung der Geldsanktion nach dem 27.10.2010 ergangen sein. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte damit dem Umstand Rechnung getragen werden, dass inländische Betroffene bislang davon ausgehen konnten, ausländische Entscheidungen, zumindest sofern diese den praktisch bedeutsamen Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts betreffen, würden nicht durch inländische Behörden vollstreckt werden. Inländischen Betroffenen soll daher kein Nachteil dadurch entstehen, dass sie in Erwartung der Nichtvollstreckung einer ausländischen Entscheidung es versäumten, rechtzeitig Rechtsmittel einzulegen. Nicht geschützt wird mit dieser Stichtagsregelung die Missachtung ausländischer Verkehrsvorschriften im Vertrauen auf die Nichtahndung. Der Verstoß selbst kann nämlich bei der jetzigen Regelung durchaus lange vor dem Inkrafttreten der Regelung begangen worden sein. Es wird ausschließlich auf den Zeitpunkt der nachfolgenden Entscheidung abgestellt.
3. Voraussetzungen der Bewilligung
Das BfJ darf die Bewilligung zur Vollstreckung nur erteilen, wenn die Voraussetzungen vorliegen, die in §§ 87, 87a IRG festgelegt sind. Dabei sind die meisten Kriterien von Amts wegen zu berücksichtigen, einige Tatbestände muss der Betroffene im Anhörungsverfahren geltend machen.
Wenn im Anhörungsverfahren eine Stellungnahme abzugeben ist, sind folgende Punkte durchzuprüfen (die anschließend an die Aufzählung erläutert werden):
- Liegt eine gerichtliche Entscheidung vor oder bestand die Möglichkeit die behördliche Entscheidung durch ein Strafgericht prüfen zu lassen? (a)
- Liegt eine Geldsanktion i.S.d. RBGeld vor? (b)
- Liegt die ausländische Entscheidung im Original oder in beglaubigter Abschrift vor und ist das im RBGeld vorgesehene Formblatt vollständig und zutreffend ausgefüllt? (c)
- Ist der Verstoß als verkehrsrechtlicher Verstoß einschließlich der Lenk- und Ruhezeiten sowie des Gefahrgutrechts zu qualifizieren? (d)
- Wurde die Tathandlung in Deutschland begangen und ist sie hier nicht strafbar oder bußgeldbewehrt? (e)
- Wurde die zu vollstreckende Geldsanktion oder die Sanktion eines anderen Mitgliedstaats, die wegen derselben Tat verhängt wurde, bereits bezahlt oder vollstreckt? (f)
- Beträgt der Gesamtwert der zu vollstreckenden Geldsanktion mind. 70 EUR? (g)
- Hatte der Betroffene Gelegenheit sich zur Sache zu äußern und wurde er darüber belehrt? (h)
- Beruht die Geldsanktion auf einer verschuldensunabhängigen Halterhaftung? (i)
- Wäre nach deutschem Recht Vollstrechungsverjährung eingetreten? (j)
- War der Betroffene zum Zeitpunkt der Tat auf Grund seines Alters strafrechtlich nicht verantwortlich? (k)
- Verstößt die Vollstreckung gegen den europäischen ordre public oder gegen Immunitäts- oder Indemnitätsvorschriften? (l)
(a) Gem. § 87 Abs. 2 IRG kann eine in einem EU-Mitgliedstaat rechtskräftig verhängte Geldsanktion im Inland vollstreckt werden, wenn die Entscheidung
- von einem Strafgericht im ersuchenden Mitgl...