" … II. … 2. [7] Die zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Einstellung des Verfahrens, da das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung vorliegt."

[8] a) Verfahrensvoraussetzungen und Verfahrenshindernisse sind Umstände, die so schwer wiegen, dass von ihrem Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des Verfahrens im Ganzen abhängt und die nicht nur im Interesse des Betroffenen, sondern auch im allgemeinen Interesse gegeben sind (vgl. BGH, Beschl. v. 13.12.2000, 2 StR 56/00, bei juris m.w.N.). Das Vorliegen von Verfahrenshindernissen ist auf ein zulässiges Rechtsmittel, auch wenn dieses – wie hier – zuungunsten des Betroffenen von der Staatsanwaltschaft eingelegt worden ist, durch das Rechtsmittelgericht von Amts wegen zu prüfen. Ist dem Rechtsmittelgericht auf Grund eines zulässigen Rechtsmittels die Prüfung der angefochtenen Entscheidung eröffnet, untersucht es von Amts wegen nicht nur, ob im Anschluss an diese Entscheidung Verfahrenshindernisse eingetreten sind, sondern auch, ob der Tatrichter Verfahrenshindernisse übersehen oder zu Unrecht unberücksichtigt gelassen hat (vgl. BGHSt 16, 115; BGH, a.a.O.; OLG Koblenz, Beschl. v. 12.8.2008, 2 Ss Bs 54/08, bei juris; OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.10.2008, Ss 337/08, bei juris). Für den besonderen Fall der Rechtsbeschwerde in Bußgeldsachen wird dies durch die Regelung des § 80 Abs. 5 OWiG bestätigt, der (nur) für die Fälle der zulassungsbedürftigen Rechtsbeschwerde eine beschränkte Berücksichtigung von Verfahrenshindernissen vorsieht. Aus dieser Ausnahmeregelung folgt, dass umgekehrt in den Fällen der nicht zulassungsbedürftigen Rechtsbeschwerde Verfahrenshindernisse (auf eine zulässige Rechtsbeschwerde) ohne Beschränkung zu berücksichtigen sind (vgl. OLG Oldenburg, a.a.O.).

[9] b) Im vorliegenden Fall liegt das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung vor, da die der Betroffenen vorgeworfene Geschwindigkeitsübertretung bereits bei Erlass des angefochtenen Beschlusses verjährt gewesen ist.

[10] Die für die vorliegende Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 26 Abs. 3 StVG zunächst drei Monate betragende Verjährungsfrist hat nach § 31 Abs. 3 S. 1 OWiG am Tattag, dem 30.4.2009 zu laufen begonnen. Durch den Erlass des der Betroffenen alsbald zugestellten Bußgeldbescheides am 23.6.2009 ist die Verjährungsfrist nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG wirksam unterbrochen und zugleich auf sechs Monate verlängert worden (§ 26 Abs. 3 StVG). Nach Erlass des Bußgeldbescheides ist die sodann sechsmonatige Verjährungsfrist letztmalig mit Eingang der Akte beim AG am 23.9.2009 nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 OWiG wirksam unterbrochen worden. Danach ist keine weitere, die Verjährung unterbrechende Handlung der Tatrichterin vor Erlass des angefochtenen Beschlusses am 15.4.2010 mehr erfolgt, so dass mit Ablauf des 22.3.2010 die Verjährung eingetreten ist.

[11] Insb. ist die Verjährung nach Eingang der Akte beim AG nicht nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 12 OWiG unterbrochen worden. Danach wird die Verjährung unterbrochen durch den Hinweis auf die Möglichkeit, ohne Hauptverhandlung nach § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG zu entscheiden. Einen solchen Hinweis hat die Tatrichterin vor Erlass des Beschlusses vom 15.4.2010 nicht erteilt, da ein Hinweis an die Betroffene nach § 72 Abs. 1 S. 3 OWiG entbehrlich war und die Staatsanwaltschaft bereits bei Übersendung der Akte im September 2009 ausdrücklich erklärt hatte, dass sie einer Entscheidung im Beschlusswege nicht widerspreche. Die am 7.1.2010 von der Tatrichterin an die Staatsanwaltschaft gerichtete Anfrage nach einer Zustimmung zur Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG stellt im Übrigen keine die Verjährung nach § 33 Abs. 1 OWiG unterbrechende Verfahrenshandlung dar.

[12] c) Die eingetretene Verjährung hat hier zur Folge, dass das Verfahren unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung einzustellen ist. In Bezug auf diese Rechtsfolge sieht sich der Senat allerdings mit Blick auf den Grundsatz des Vorrangs der Sachentscheidung zu einer Klarstellung hinsichtlich des von der Tatrichterin angenommenen Beweisverwertungsverbots veranlasst.

[13] Nach dem Grundsatz des Vorrangs der Sachentscheidung ist unter Umständen auch bei eingetretener Verjährung keine Einstellung des Verfahrens, sondern ein Freispruch geboten. Dies wird etwa angenommen, wenn bei tatmehrheitlichem Zusammentreffen eines schwereren und eines leichteren Tatvorwurfs der schwerere nicht nachweisbar und der leichtere wegen Verjährung nicht verfolgbar ist oder bei Tateinheit der Aburteilung der Tat unter Einordnung unter den schwerwiegenderen gesetzlichen Tatbestand Beweisprobleme entgegen stehen und ihre Verfolgung unter einem weniger gravierenden rechtlichen Gesichtspunkt verjährt ist. Auf Freispruch statt auf Einstellung soll aber auch zu erkennen sein, wenn bei Zutagetreten des Verfahrenshindernisses der Sachverhalt bereits dahingehend geklärt ist, dass der Betroffene sich keiner Tat schuldig gemacht hat. Ma...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?