"Die zulässige Berufung ist teilweise begründet."
Die Kl. hat gegen die Bekl. Anspruch auf Schadensersatz für materielle und immaterielle Schäden i.H.v. 2.790,32 EUR gem. §§ 7 Abs. 1, 11 S. 2, 17 StVO.
1. Die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG entfällt nur, wenn der Unfall auf höherer Gewalt beruht (§ 7 Abs. 2 StVG) – was nicht ansatzweise im Raum steht – oder für die Bekl. zu 1) ein unabwendbares Ereignis war, § 17 Abs. 3 S. 1 StVG. Als unabwendbar gilt ein Ereignis dann, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet haben (§ 17 Abs. 3 S. 2 StVG). Dies war aber nicht der Fall.
a) Das Erstgericht hat sich auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Dr. G davon überzeugt, dass sich das Fahrzeug der Bekl. zu 2) “mit fast 180 km/h‘ angenähert habe. Auf Grund der Feststellungen des Sachverständigen i.V.m. den Angaben der Zeugin H gegenüber der Polizei hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die Bekl. zu 1) mit mind. 160 km/h gefahren ist.
aa) Dem Sachverständigen standen als relativ “harte‘ Anknüpfungstatsachen die Schäden an den Kraftfahrzeugen und die Entfernung zwischen dem Ende der Einfahrtskurve und dem Kollisionspunkt zur Verfügung.
(1) Aus ersteren konnte er unmittelbar ohne Rückgriff auf Plausibilitäts- und Wahrscheinlichkeitsüberlegungen ableiten, dass
- die Fahrzeuge sich beim Aufprall parallel hintereinander befanden, also keine Schrägstellung des Kl.-Fahrzeugs mehr vorlag,
- die Geschwindigkeitsdifferenz 43 km/h +/– 4 km/h betrug und
- sich das Bekl.-Fahrzeug beim Aufprall in gebremstem (nach vorne eingetauchtem) Zustand befand.
(2) Nicht mit der gleichen, allein auf technische und räumliche Umstände gestützten Gewissheit konnte der Sachverständige die Geschwindigkeiten der Fahrzeuge relativ zur Fahrbahn feststellen und die Ausgangsgeschwindigkeit des Bekl.-Fahrzeugs vor dem Bremsbeginn.
Allein auf Grund der räumlichen Verhältnisse zur Einfahrtsspur i.V.m. den Eigenschaften des klägerischen Fahrzeugs konnte der Gutachter allerdings zumindest eingrenzen, dass dieses Fahrzeug zum Kollisionszeitpunkt nicht schneller als 118 km/h gefahren sein kann (dies wäre das Ergebnis einer Maximalbeschleunigung vom Beginn des Einfahrens auf die Autobahn an). Weiter konnte er die Aussage treffen, dass bei “normalem‘ Beschleunigungsverhalten (etwa 75 % des Maximums) das Kl.-Fahrzeug bei der Kollision etwa 103 km/h schnell gewesen sein müsste.
Daraus ergäbe sich eine Geschwindigkeit des Bekl.-Fahrzeugs von 146 km/h +/– 4 km/h beim Aufprall.
Dann müsste die Bekl. zu 1) vor Bremsbeginn – unterstellt, sie hat, wie sie behauptet, sofort reagiert, als der Spurwechsel durch Überfahren der Spurbegrenzungslinien erkennbar wurde – mit 178 km/h +/– 4 km/h gefahren sein.
bb) Damit ist lediglich die Frage, ob das Kl.-Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits eine Geschwindigkeit von 103 km/h erreicht hatte, nicht allein auf Grund der vom Sachverständigen anhand objektiver Anknüpfungstatsachen durchgeführten Begutachtung vollständig zur Überzeugung des Senats feststellbar.
Nach Aussage der Zeugin H – Beifahrerin der Bekl. zu 1) – betrug die Geschwindigkeit des Bekl.-Fahrzeugs etwa 160 km/h. Wären es tatsächlich (nur) 160 km/h gewesen, so hätte das Fahrzeug der Kl. lediglich eine Geschwindigkeit von etwa 85 km/h bis 90 km/h gehabt (wiederum bei Annahme der von den Bekl. vorgetragenen optimalen Reaktion der Bekl. zu 1)). Dass das Fahrzeug der Kl. zumindest dieses Tempo hatte, steht für den Senat außer Zweifel, nachdem dann, ausgehend vom Einfahrtsstreifen, nur noch eine sehr mäßige Fahrzeugbeschleunigung erforderlich war und bei noch niedrigeren Geschwindigkeiten regelmäßig kein Anlass besteht, überhaupt auf die linke Spur zu wechseln. Mit anderen Worten: Die Aussage der Zeugin H gibt die niedrigste, angesichts der Feststellungen des Sachverständigen noch plausible Geschwindigkeit der Bekl. zu 1) wieder. Ein Zweifel daran, dass die Bekl. zu 1) mind. mit diesem Tempo gefahren ist, besteht nicht.
b) Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit eines Unfalls geltend machen will, muss sich wie ein “Idealfahrer‘ verhalten haben. Dabei darf sich die Prüfung nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Gefahrensituation wie ein “Idealfahrer‘ reagiert hat, vielmehr ist sie darauf zu erstrecken, ob ein “Idealfahrer‘ überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre. Der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage ergebende Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) “ideal‘ verhält. § 17 Abs. 3 StVG erfordert, dass der “Idealfahrer‘ in seiner Fahrweise auch die Erkenntnisse berücksichtigt, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden. Solche Erkenntnisse haben in der Autobahn-Richtgeschwindigkeits-Verordnung Ausdruck gefunden, in der die Empfehlung ausgesprochen wird, auf Autobahnen auch bei günstigen Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen nicht schneller ...