RVG § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9; VV-RVG Nr. 3200 3201
Leitsatz
Eine mit der Entgegennahme der Berufungsschrift verbundene Prüfung von Fragen, die gebührenrechtlich zur ersten Instanz gehören, löst die Verfahrensgebühr für die Berufungsinstanz nicht aus.
BGH, Beschl. v. 25.10.2012 – IX ZB 62/10
Sachverhalt
Die Kl. hatte den beklagten Steuerberater vor dem LG München I auf Schadensersatz i.H.v. rund 390.000 EUR in Anspruch genommen. Gegen das ihre Klage abweisende Urt. des LG hat die Kl. Berufung eingelegt. Den erstinstanzlich für den Bekl. tätig gewesenen Prozessbevollmächtigten teilte sie mit, die Berufung werde nur fristwahrend eingelegt. Gleichzeitig bat sie die Anwälte, sich vorerst nicht zu bestellen. Innerhalb der Berufungsbegründungsfrist nahm die Kl. die Berufung wieder zurück. Aufgrund der zu seinen Gunsten ergangenen Kostenentscheidung beantragte der Steuerberater die Festsetzung einer 1,1 Verfahrensgebühr nach Nr. 3200, 3201 VV-RVG. Auf den Hinweis des Rechtspflegers des LG, es sei noch zum Vertretungsauftrag für die zweite Instanz und zur entfalteten Tätigkeit weiter vorzutragen, behauptete er nur, die Kanzlei zu seiner Vertretung im Berufungsverfahren mandatiert zu haben.
Die Rechtspflegerin des LG hat die Kosten der Berufung antragsgemäß festgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde der Kl. hat das OLG München unter Aufhebung des Kostenfestsetzungsbeschlusses den Kostenfestsetzungsantrag des Bekl. zurückgewiesen. Die zugelassene Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[5] "II. 1. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in JurBüro 2010, 255 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, die Rechtspflegerin habe zu Unrecht eine 1,1-Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren gem. den VV-RVG Nr. 3200, 3201 zugunsten des Bekl. festgesetzt. Es bestünden bereits erhebliche Zweifel, ob dem Beklagtenvertreter für das Berufungsverfahren ein Vertretungsauftrag erteilt worden sei. Obwohl die Kl. dies mehrfach bestritten habe, sei die Mandatierung nicht glaubhaft gemacht worden. Auf diese Frage komme es jedoch nicht an, weil jedenfalls eine die Entstehung der Verfahrensgebühr rechtfertigende Tätigkeit der Beklagtenvertreter im Berufungsverfahren nicht dargelegt worden sei. Ohne einen entsprechenden Sachvortrag könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Prozessbevollmächtigten des Bekl. nach Entgegennahme der Berufungsschrift geprüft hätten, ob etwas für ihren Mandanten zu veranlassen gewesen sei. Diese Unterstellung entspreche bei einem noch nicht begründeten Rechtsmittel keineswegs der Lebenserfahrung. Dies gelte umso weniger, wenn – wie im vorliegenden Fall – der Prozessbevollmächtigte des Rechtsmittelführers ausdrücklich schriftlich mitgeteilt habe, die Berufung sei nur zur Fristwahrung eingelegt worden."
[6] 2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
[7] Die Kl. hat nach der Kostengrundentscheidung des BG v. 28.9.2009 die dem Bekl. im Berufungsverfahren entstandenen Kosten zu tragen. Allerdings besteht der Kostenerstattungsanspruch gem. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO nur insoweit, wie dem Bekl. Kosten entstanden sind. Voraussetzung ist mithin, dass er seinen Prozessbevollmächtigten zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist. Dies richtet sich – sofern er die Prozessbevollmächtigten beauftragt hat, ihn im Berufungsverfahren zu vertreten – nach den Vorschriften des RVG.
[8] a) Da das Beschwerdegericht offengelassen hat, ob der Bekl. seine erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten mit der Vertretung im Berufungsverfahren beauftragt hat, ist im Rechtsbeschwerdeverfahren von der Erteilung eines solchen Mandats auszugehen, auch wenn das Beschwerdegericht wegen der nur pauschalen Behauptung der Mandatierung Zweifel geäußert hat. Doch genügt es für das Entstehen des anwaltlichen Honoraranspruchs nicht, dass der Bekl. seine Prozessbevollmächtigten beauftragt hat, ihn in einem Berufungsverfahren zu vertreten. Diese müssten im Berufungsverfahren eine gesondert zu vergütende Tätigkeit verrichtet haben.
[9] b) Zutreffend hat das Beschwerdegericht entschieden, dass die Prozessbevollmächtigten des Bekl. keine die Verfahrensgebühr nach VV-RVG Nr. 3200 auslösende anwaltliche Tätigkeit entfaltet haben.
[10] aa) Nach § 15 Abs. 1 RVG entgelten die Gebühren die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit. In gerichtlichen Verfahren kann er die Gebühren in jedem Rechtszug fordern (§ 15 Abs. 2 S. 2 RVG). Zum jeweiligen Rechtszug gehören dabei auch Neben- und Abwicklungstätigkeiten (§ 19 Abs. 1 S. 1 RVG). In § 19 Abs. 1 S. 2 RVG hat der Gesetzgeber anhand von Regelbeispielen Tätigkeiten aufgeführt, die er als zum Rechtszug gehörig ansieht. Nach Nr. 9 dieser Bestimmung gehört dazu auch die Inempfangnahme von Rechtsmittelschriften und ihre Mitteilung an den Auftraggeber (BAG NJW 2008, 1340 Rn 9). Dazu ist auch zu zählen die Entgegennahme und Weiterleitung der Bitte eines Rechtsmittelführers, dass die Gegenseite noch keinen Prozessbevollmächtigten bestellen möge (KG JurBüro 1979, 388; Hans...