Die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen OLG ist richtig. Die Anwendungsprobleme bei der Einigungsgebühr sind darauf zurückzuführen, dass der Gesetzgeber nicht die bisherige Formulierung der Vergleichsgebühr – ggf. mit dem Verzicht auf das gegenseitige Nachgeben – aus der BRAGO-Regelung ins RVG übernommen hat. Die zum 1.8.2013 in Kraft getretene Reparaturregelung, durch die die Einigungsgebühr für Zahlungsvereinbarungen eingeführt wurde, ist lückenhaft und regelt nicht alle in Betracht kommenden Anwendungsbereiche (s. OLG München RVGreport 2014, 188 [Hansens] = AGS 2014, 411 m. Anm. N. Schneider).
Vergleichsgebühr nach der BRAGO
§ 23 Abs. 1 S. 1 BRAGO hatte folgenden Wortlaut:
Damit hatte der Gesetzgeber die materiell-rechtlichen Voraussetzungen eines Vergleichsvertrages in den Gebührentatbestand der Vergleichsgebühr einbezogen. § 779 BGB regelt zwei verschiedene Anwendungsbereiche des Vergleichsvertrags. Die Regelung in § 779 Abs. 1 BGB hat der Gesetzgeber des RVG in Abs. 1 der Anm. zu Nr. 1000 VV RVG a.F. = Abs. 1 S. 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 1000 VV RVG n.F. übernommen und hierbei lediglich auf das Erfordernis des "gegenseitigen Nachgebens" verzichtet. Die Regelung in § 779 Abs. 2 BGB hat der Gesetzgeber ins RVG nicht übertragen. Darin heißt es nämlich:
Zitat
"Der Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis steht es gleich, wenn die Verwirklichung eines Anspruchs unsicher ist."
Aus dieser Vorschrift hatte der BGH (RVGreport 2005, 263 [Hansens] = AGS 2005, 140 = JurBüro 2005, 309) den Anfall einer Vergleichsgebühr nach § 23 Abs. 1 BRAGO für eine Ratenzahlungsvereinbarung über eine unstreitige Forderung hergeleitet. Durch den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs werde – so der BGH – die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt, weil der Gläubiger mit dem gerichtlichen Vergleich ohne Verzug einen sicheren Vollstreckungstitel erhalte.
Einigungsgebühr nach dem RVG
Diese in der Praxis seit vielen Jahrzehnten bewährte Regelung der Vergleichsgebühr hat der Gesetzgeber leider nicht in das RVG übernommen. Statt in der neu geschaffenen Gebührenvorschrift von Abs. 1 der Anm. zu Nr. 1000 VV RVG a.F. wiederum auf die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Vergleichs in § 779 BGB zu verweisen, hat er den neuen Begriff des Einigungsvertrags eingeführt. Dieser enthält nicht mehr – wie § 779 Abs. 1 BGB – den Begriff des gegenseitigen Nachgebens. Dies hat der Gesetzgeber damit begründet, die Frage, ob ein gegenseitiges Nachgeben vorliege, sei in der Praxis vielfach umstritten gewesen, was ich aufgrund meiner praktischen Erfahrung aus vielen tausend Kostenfestsetzungsverfahren nicht bestätigen kann. Nur gelegentlich war die Frage des gegenseitigen Nachgebens umstritten. Meist ließ sie sich problemlos lösen.
Bei der eigenständigen Formulierung eines Einigungsvertrags im RVG ist dem Gesetzgeber der Fehler unterlaufen, nicht auch die Regelung des § 779 Abs. 2 BGB in die neue Gebührenvorschrift der Nr. 1000 VV RVG zu übertragen. In der Rspr. hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass die Zahlungsvereinbarung über eine unstreitige Forderung keine Einigungsgebühr auslöst.
Einigungsgebühr für Zahlungsvereinbarung
Dies hat den Gesetzgeber veranlasst, in Abs. 1 S. 1 Nr. 2 der Anm. zu Nr. 1000 VV RVG eine neue Einigungsgebühr für Zahlungsvereinbarungen einzuführen. Diese Regelung ist jedoch ihrerseits lückenhaft und erfasst nicht sämtliche Fälle, die früher von § 23 Abs. 1 BRAGO i.V.m. § 779 Abs. 2 BGB geregelt worden sind.
Nach Abs. 1 S. 1 Nr. 2 der Anm. zu Nr. 1000 VV RVG entsteht die Einigungsgebühr für eine Zahlungsvereinbarung unter zwei verschiedenen Voraussetzungen:
▪ |
Gegenstand der Vereinbarung ist die Erfüllung des Anspruchs bei gleichzeitigem vorläufigem Verzicht auf die gerichtliche Geltendmachung. |
▪ |
Es liegt bereits ein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Titel vor und die Vereinbarung betrifft die Erfüllung des Anspruchs bei gleichzeitigem vorläufigem Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen. |
Diese Neuregelung deckt aber nur zwei Sachverhalte ab. So ist bspw. der in der Praxis häufig vorkommende Fall nicht geregelt, dass die Parteien im Laufe des Rechtsstreits eine Ratenzahlungsvereinbarung über die unstreitige Klageforderung treffen. Das erste Tatbestandsmerkmal der Einigungsgebühr für Zahlungsvereinbarungen liegt nicht vor, weil der Kl. nicht vorläufig auf die gerichtliche Geltendmachung verzichtet, die Forderung ist nämlich bereits anhängig. Die zweite Fallgestaltung liegt mangels Vorliegens eines zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titels ebenfalls nicht vor. Auch eine Einigungsgebühr nach Abs. 1 S. 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 1000 VV RVG ist nicht angefallen, weil kein Streit oder keine Ungewissheit über das der Klageforderung zugrunde liegende Rechtsverhältnis (mehr) vorliegt. Im Fall des Schleswig-Holsteinischen OLG war diese Regelung deshalb einschlägig, weil die Klage...