"… II."
[11] 1. Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. (…) Selbst wenn man von einer Erfüllung des Darlegungserfordernisses und damit einer zulässigen Beschwerde ausgeht, ist diese nicht begründet. Denn aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der VGH beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 S. 1 u. 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des VG zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen oder wiederherzustellen wäre.
[12] a) Nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG in der Fassung der Bekanntmachung v. 5.3.2003 (BGBl I S. 310, 919), im maßgebliche Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz v. 5.12.2019 (BGBl I S. 2008), gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem (§ 40 i.V.m. Anl. 13 FeV v. 13.12.2010 [BGBl I S. 1980], im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz v. 5.12.2019 [BGBl I S. 2008], in Kraft getreten zum 1.6.2020) ergeben. Diese Maßnahme, für die der Behörde kein Ermessensspielraum eingeräumt ist, ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 4 Abs. 9 StVG).
[13] Punkte ergeben sich mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird (§ 4 Abs. 2 S. 3 StVG). Nach § 4 Abs. 5 S. 4 StVG ist die Behörde bei Maßnahmen nach dem Stufensystem des § 4 Abs. 5 S. 1 StVG an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder Ordnungswidrigkeit gebunden. Abzustellen hat sie dabei auf den Punktestand, der sich zum Zeitpunkt der Begehung (und nicht der Ahndung) der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat (§ 4 Abs. 5 S. 5 StVG). Frühere Zuwiderhandlungen, deren Tilgungsfrist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war, werden bei der Berechnung des Punktestands berücksichtigt (§ 4 Abs. 5 S. 6 Nr. 2 StVG); spätere Verringerungen des Punktestands aufgrund von Tilgungen bleiben unberücksichtigt (§ 4 Abs. 5 S. 7 StVG).
[14] Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem setzt voraus, dass der Fahrerlaubnisinhaber zuvor das Stufensystem des § 4 Abs. 5 StVG ordnungsgemäß durchlaufen hat (§ 4 Abs. 6 StVG), d.h. dass er bei Erreichen von vier oder fünf Punkten ermahnt (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 StVG) und bei Erreichen von sechs oder sieben Punkten verwarnt (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 StVG) wurde.
[15] b) Daran gemessen begegnet der angegriffene Bescheid keinen Bedenken. Der ASt. hat das Fahreignungs-Bewertungssystem ordnungsgemäß durchlaufen und zum Tattag 10.2.2020 acht oder mehr Punkte i.S.d. § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG erreicht. Die Fahrerlaubnis war ihm daher zwingend zu entziehen.
[16] aa) Dagegen kann nicht ins Feld geführt werden, die dem Bußgeldbescheid vom 4.7.2019 zugrunde liegende Ordnungswidrigkeit habe nicht der ASt., sondern sein Bruder begangen. Dieser Bußgeldbescheid ist seit dem 24.7.2019 rechtskräftig. Daran ist die Antragsgegnerin nach § 4 Abs. 5 S. 4 StVG gebunden.
[17] Eine Ausnahme von dieser Bindungswirkung sieht das Gesetz nach der Rspr. des Senats nicht vor. Vielmehr muss der Betr. eine Entscheidung über eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit so lange gegen sich gelten lassen, wie die Rechtskraft der Entscheidung besteht (BayVGH, Beschl. v. 6.3.2007 – 11 CS 06.3024, juris Rn 11; Beschl. v. 10.7.2019 – 11 CS 19.1081, juris Rn 12; vgl. auch OVG NW, Beschl. v. 9.6.2020 – 16 B 1223/19, Blutalkohol 58, 304 = juris Rn 4 ff.; OVG Berlin-Bbg, Beschl. v. 28.5.2015 – OVG 1 S 71.14 – juris Rn 7 f.; OVG SH, Beschl. v. 27.1.2017 – 4 MB 3/17, juris Rn 9). Denn nach dem durch die Gesetzesmaterialien belegten Willen des Gesetzgebers sowie dem auf Verwaltungsvereinfachung zielenden Sinn und Zweck der Vorschrift soll die Fahrerlaubnisbehörde gerade nicht mehr prüfen müssen, ob der Betr. die Tat tatsächlich begangen hat (vgl. BT-Drucks 13/6914 S. 69 zu § 4 StVG und S. 67 zu § 2a StVG; vgl. auch OVG NW, a.a.O.; OVG Berlin-Bbg, a.a.O.).
[18] Eine Ausnahme von der strikten Bindungswirkung des § 4 Abs. 5 S. 4 StVG bei evidenter Unrichtigkeit einer im Straf- oder Bußgeldverfahren ergangenen Entscheidung, wie sie der ASt. geltend macht, erscheint weiterhin weder durch das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) noch das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) geboten. Denn grds. verfügt der Betr. über hinreichende Rechtsschutzmöglichkeiten im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren und ist gehalten, diese zu ergreifen, um die Berücksichtigung der entsprechenden Taten im Verfahren nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zu vermeiden (vgl. dazu sowie zum Meinungsstand OVG NW, a.a.O. Rn 4 ff.; OVG Berlin-Bbg, a.a.O. Rn 7 f.; OVG Hamburg, Beschl. v. 18.9.2006 – 3 Bs 298/05, NJW 2007, 1225 = juris Rn 7, 11; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 2a StVG Rn 30). Schließlich ist für den Senat aber auch nicht erkennbar, dass eine Ausnahme von der Bindung in besonders ...