GKG § 21; OWiG § 46 Abs. 1 § 71 Abs. 2 S. 1; StPO § 33 Abs. 3 § 222; GG Art. 103
Leitsatz
1. Im Bußgeldverfahren ist dem Betroffenen vor der Anordnung kostenintensiver Beweiserhebungen, insbesondere vor der Einholung eines regelmäßig mit hohen Kosten – hier 2.025,98 EUR – verbundenen Sachverständigengutachtens, rechtliches Gehör zu gewähren. Dies gilt gerade dann, wenn bei Erteilung des Gutachtenauftrags absehbar ist, dass die zu erwartenden Kosten das im Bußgeldbescheid festgesetzte Bußgeld wesentlich (hier um das 27-fache) übersteigen werden.
2. Die Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs stellt daher einen offensichtlichen Verfahrensverstoß dar, der die Nichterhebung der durch die Beweiserhebung entstandenen Auslagen zur Folge hat. (Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Stuttgart, Beschl. v. 26.10.2023 – 4 Ws 368/23
1 Sachverhalt
Die Zentrale Bußgeldstelle hatte gegen den Betroffenen am 20.6.2022 einen Bußgeldbescheid wegen Nichteinhaltung des erforderlichen Abstands als Führer eines Pkw, begangen am 13.4.2022 auf der BAB 96 erlassen und gegen ihn eine Geldbuße in Höhe von 75 EUR festgesetzt. Gegen diesen Bußgeldbescheid legte der Verteidiger des Betroffenen mit Schriftsatz vom 28.6.2022 form- und fristgerecht Einspruch ein. Zur Begründung verwies der Verteidiger auf die von dem Betroffenen im Anhörungsverfahren mit Schreiben vom 8.6.2022 abgegebene Stellungnahme, in der er den ihm vorgeworfenen Abstandsverstoß erklärte und aufgrund von ihm geltend gemachter Unsicherheiten bei dessen Feststellung die Reduzierung der Geldbuße auf 55 EUR anregte.
Nach Eingang der Akten beim AG Leutkirch im Allgäu am 22.8.2022 bestimmte der Richter mit Verfügung vom 21.12.2022 Termin zur Hauptverhandlung auf den 9.2.2023 und ordnete das persönliche Erscheinen des Betroffenen an. Mit Schriftsatz vom 16.1.2023 bat der Betroffene eine Entscheidung im Beschlussverfahren zu prüfen und gegen ihn eine Geldbuße in Höhe von 55 EUR zu verhängen. Zudem verwies er darauf, dass der Abstandsunterschreitung ein Überholmanöver eines Lkws vorausgegangen sei, durch das die nachfolgenden Fahrzeuge "aufgelaufen" seien. Mit Verfügung vom 19.1.2023 ordnete der Amtsrichter die Ladung des Sachverständigen Dipl.-Ing. X. mit dem Beweisthema "vorwerfbarer Abstandsverstoß aus technischer Sicht" zu dem bestimmten Hauptverhandlungstermin sowie die Übersendung der Akten an diesen an.
Mit Schreiben vom 31.1.2023, das am selben Tag beim AG Leutkirch einging, nahm der Betroffene den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid Ziffer I. 1. zurück. Bereits vor dessen Eingang hatte der Amtsrichter den Sachverständigen mit E-Mail-Nachricht vom selben Tag gebeten, die Bearbeitung des Gutachtenauftrags einzustellen, da der Betroffene die Einspruchsrücknahme in einem zuvor geführten Telefonat angekündigt hatte. Am 10.2.2023 bezahlte der Betroffene den im Bußgeldbescheid Ziffer I. 1. festgesetzten Gesamtbetrag.
Mit Kostenrechnung der Landesoberkasse Baden-Württemberg vom 9.2.2023 wurde der Betroffene unter anderem zur Zahlung der von dem Sachverständigen X mit Rechnung vom 1.2.2023 geltend gemachten Kosten in Höhe von 2.025,98 EUR aufgefordert. Hiergegen legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 20.2.2023 Erinnerung ein und ergänzte deren Begründung mit Schriftsatz vom 5.5.2023. Mit Beschl. v. 1.6.2023 wies das AG Leutkirch die Erinnerung zurück. Dagegen legte der Betroffene mit Verteidigerschriftsatz vom 7.6.2023 Beschwerde einlegte, der das AG Leutkirch nicht abhalf.
Mit Beschl. v. 7.8.2023 verwarf das LG Ravensburg die Beschwerde des Betroffenen als unbegründet und ließ die weitere Beschwerde zu. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Betroffene mit seiner mit Verteidigerschriftsatz vom 15.8.2023 eingelegten "Rechtsbeschwerde". Das LG Ravensburg hat das Rechtsmittel des Betroffenen als weitere Beschwerde ausgelegt und dieser mit Beschl. v. 28.8.2023 nicht abgeholfen.
Die weitere Beschwerde hatte beim OLG Stuttgart Erfolg.
2 Aus den Gründen:
II.
"1. a) Die "Rechtsbeschwerde" des Betroffenen war als weitere Beschwerde auszulegen, da diese das statthafte Rechtsmittel (§ 66 Abs. 4 Satz 1 GKG) darstellt."
b) Die weitere Beschwerde ist zulässig. Sie richtet sich gegen eine Entscheidung des LG als Beschwerdegericht gemäß § 66 Abs. 2 GKG und wurde durch dieses in der angefochtenen Entscheidung zugelassen. Der Beschwerdeführer hat zudem statthafte Einwendungen geltend gemacht. Gemäß § 66 Abs. 4 Satz 2 GKG kann die weitere Beschwerde nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht, wobei die §§ 546, 547 ZPO entsprechend gelten. Der Beschwerdeführer muss daher geltend machen, dass ein absoluter Revisionsgrund im Sinne des § 547 ZPO vorliegt oder die Entscheidung aufgrund einer falschen Anwendung von Rechtsnormen oder Nichtanwendung von Rechtsnormen im Ergebnis fehlerhaft ist (vgl. Laube in BeckOK Kostenrecht, 42. Edition, § 66 GKG Rn 284 m.w.N.). Der Betroffene macht geltend, das AG habe den Sachverständigen entgegen einer jedenfalls im vorliegenden Fall bestehenden Anhörungspflicht ohne vorherige Anhör...