Psychische Schäden treten häufig erst im Anschluss an physische Schäden auf – sog. sekundäre psychische Schäden. Insoweit stellt sich dann die Frage der Ursächlichkeit, aber auch der Vermeidbarkeit und Verantwortlichkeit.
Bei schweren Schädelhirntraumata sind psychische Folgen häufig medizinisch unvermeidbar. Wenn aber nur relativ leichte Verletzungen – insbesondere ein klassisches HWS-Schleudertrauma – vorliegen, ist alles daran zu setzen, psychische Überlagerungen mit teilweise verheerenden Folgen zu vermeiden. Dabei wird an dieser Stelle unterstellt, dass der Geschädigte nicht im Entschädigungsinteresse ein Beschwerdebild vortäuscht oder auch nur aggraviert. Auf Grund psychischer Triggerung manifestieren sich vielmehr die Beschwerden. Nach dem Unfall findet zunächst unweigerlich eine mehr oder weniger ausgeprägte Selbstbeobachtung statt, wobei dann die Gefahr besteht, jede zeitlich nach dem Unfall liegende Beeinträchtigung kausal auf diesen zurückzuführen und/oder die Beeinträchtigung sehr bewusst und damit stärker zu erleben. Wenn die behandelnden Ärzte dann statt zu relativieren umfangreich in intensive Behandlungsformen steuern, werden dem Geschädigten häufig Steine statt Brot gegeben. Hier stellt sich dann u.U. auch die Frage, ob nicht ein vorwerfbarer Behandlungsfehler vorliegt. Der Schädiger/Haftpflichtversicherer haftet grundsätzlich auch für Behandlungsfehler. Zurechenbar sind ihm auch zusätzliche Schäden auf Grund von ärztlichen Kunstfehlern bei der Behandlung einer Unfallverletzung. Arzt und Unfallverursacher haften dem Geschädigten dann als Gesamtschuldner. Es gilt vom Grundsatz her rechtlich das Gleiche wie bei der Reparatur eines unfallbeschädigten Fahrzeuges (sog. Werkstattrisiko).
Gerade bei HWS-Schleudertraumata sind iatrogene (vom Arzt verursachte) somatoforme Beschwerden (somatoforme Schmerzstörung = andauernde, schwere und quälende Schmerzen, die durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht erklärt werden können) nicht selten.
Diese führen teilweise zu massiven und dauerhaften Beeinträchtigungen bis hin zur Erwerbsunfähigkeit. Besonderer Argwohn ist bei leichtfertiger Verordnung der sog. Schanzschen Krawatte angebracht. In einer Vielzahl von Fällen drängt sich der Verdacht auf, dass die Beschwerden erst auf Grund der unnatürlichen Körperhaltung und -belastung beim Tragen der Schanzschen Krawatte entstehen. Andere Behandlungsmethoden sind ebenfalls sehr umstritten.
Der Haftpflichtversicherer ist deshalb gut beraten, sich über die vorgenommenen Heilbehandlungsmaßnahmen von Anfang an zeitnah und intensiv zu informieren. Der Geschädigte ist nach deutschem Recht Herr des Restitutionsverfahrens, kann sich die behandelnden Ärzte und angewendeten Heilbehandlungsmethoden prinzipiell deshalb selbst aussuchen und – zumindest im Bereich der Schulmedizin – ersetzt verlangen. Anzustreben ist allerdings insbesondere im Interesse des Geschädigten die schnellst- und bestmögliche Genesung und nicht die intensive Anwendung von Heilbehandlungsmaßnahmen als Selbstzweck. In diesem Bereich kommt immer wieder der Eindruck fehlender Selbstkritik behandelnder Ärzte auf.
Soweit seitens des regulierenden Haftpflichtversicherers ernsthafte Zweifel an der Eignung und Heilungsförderung der Heilbehandlungsmaßnahmen vorliegen, sind diese idealerweise dem Geschädigten umgehend mitzuteilen, um weitergehenden Schaden zu vermeiden. Ggf. sind Regressmöglichkeiten gegenüber den behandelnden Ärzten zu prüfen/zu realisieren. Dies nicht nur im Hinblick auf Aufwandsreduzierung im einzelnen konkreten Schadenfall, sondern insbesondere unter generalpräventiven Gesichtspunkten, um künftigen Geschädigten vermeidbare Zusatzschäden zu ersparen. Insoweit ist die Ärzteschaft aufgefordert, sich die besondere Verantwortung für die Gesundheit und das weitere Schicksal von Unfallopfern zu vergegenwärtigen und problematische Behandlungsmethoden auch deutlich als ungeeignet zu identifizieren. Eine vorurteilsfreie und enge Zusammenarbeit von Ärzten und Juristen könnte die Sache voranbringen. Als Beispiel sei hier die Schanzsche Krawatte genannt: wann endlich wird die gewohnheitsmäßige und kontraindizierte Verordnung als regresspflichtiger Behandlungsfehler gebrandmarkt?