Art. 1GG; BGB §§ 242, 393, 394, 839; StVollzG §§ 18, 201 Nr. 3
Leitsatz
1) Die Haft eines Strafgefangenen in einer mit zwei Gefangenen belegten Zelle von 9,09 qm Fläche ohne abgegrenzte Toilette, wahrt nicht ein Mindestmaß an Intimsphäre und verletzt deshalb die Menschenwürde des Strafgefangenen.
2) Ein Mangel an Einzelhaftplätzen schließt bei menschenunwürdiger Unterbringung von Strafgefangenen das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung des Landes nicht aus, dem jedenfalls ein Organisationsverschulden vorzuwerfen ist.
3) Bei menschenunwürdiger Unterbringung eines Strafgefangenen ist eine Geldentschädigung nur dann zu zahlen, wenn die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise ausgeglichen werden kann und eine schwer wiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechtes des Strafgefangenen vorliegt
4) Ein Anspruch des die Strafanstalt betreibenden Landes auf Erstattung der Kosten des Strafverfahrens gegen den Strafgefangenen kann nicht im Wege der Aufrechnung des dem Strafgefangenen zustehenden Anspruchs auf Geldentschädigung wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen entgegen gehalten werden.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.12.2008 – 12 U 39/08
Sachverhalt
Der Kläger hat die Verurteilung des beklagten Landes zur Zahlung einer Geldentschädigung wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen verfolgt. Er befand sich seit dem 17.1.2006 zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe in der JVA des beklagten Landes. Bis zum 1.8.2006 war er – mit Ausnahme eines Krankenhausaufenthaltes vom 2.2.2006 bis zum 15.2.2006 – in einer Gemeinschaftszelle mit einem weiteren Gefangenen untergebracht. Die Zelle hatte eine Grundfläche von 9,09 qm. Die nicht gesondert entlüftete Toilette war lediglich durch einen Vorhang abgetrennt. Der Kläger führte eine gerichtliche Entscheidung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der gemeinschaftlichen Unterbringung nicht herbei, sondern stellte am 12.6.2006 einen formellen Antrag auf Einzelunterbringung, nachdem er zuvor mündlich von Anfang an eine Einzelunterbringung gefordert hatte.
Das LG sprach dem Kläger eine Geldentschädigung in Höhe von 3.000 EUR zu, wies die Klage jedoch wegen der von dem beklagten Land erklärten Aufrechnung mit einer Forderung auf Erstattung der Kosten des Strafverfahrens gegen den Kläger ab.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger die Abänderung der angefochtenen Entscheidung und die Verurteilung zur Zahlung von 3.000 EUR. Er macht geltend, dass die Aufrechnung mit dem gegen ihn bestehenden Anspruch auf Erstattung der Kosten des Strafverfahrens ausgeschlossen sei. Mit der Anschlussberufung verfolgt das beklagte Land die Abweisung der Klage wegen Nichtbestehens der von dem Kläger geltend gemachten Forderung.
Aus den Gründen
Aus den Gründen: „Die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung des beklagten Landes sind zulässig (zur Beschwer des beklagten Landes vgl. Zöller-Gummer/Heßler, ZPO, 26. Aufl., vor § 511, Rn 26 a). Die Berufung des Klägers ist auch begründet, während die Anschlussberufung des beklagten Landes als unbegründet zurückzuweisen ist.
Gegenstand der Berufung des Klägers ist ein Zahlungsanspruch in Höhe von 3.000 EUR. Da der Kläger in erster Instanz beantragt hatte, das beklagte Land zur Zahlung von 4.000 EUR zu verurteilen, war die Klage teilweise abzuweisen.
1. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 839 Abs. 1 BGB, Art. 34 GG auf immaterielle Entschädigung.
a) Die Haftbedingungen des Klägers in der JVA B wurden dem aus Art. 1 GG folgenden Gebot der Achtung der Menschenwürde nicht gerecht. Innerhalb der mit zwei Gefangenen belegten, lediglich 9,09 qm Gemeinschaftszelle, die nicht über eine baulich abgetrennte Toilette verfügte, konnte der Kläger nicht einmal ein Mindestmaß an Intimsphäre wahren (Senatsentscheidung v. 19.7.2005, NJW-RR 2005, 1267). Die Unterbringung des Klägers war somit bis zu dem Zeitpunkt, als er in eine Einzelzelle verlegt wurde, rechts- und amtspflichtswidrig.
b) Dem steht auch § 201 Nr. 3 StVollzG nicht entgegen. Danach ist zwar abweichend von § 18 StVollzG bei bestimmten Justizvollzugsanstalten eine gemeinsame Unterbringung von Gefangenen zulässig; die Vorschrift rechtfertigt jedoch keinesfalls eine Gemeinschaftsunterbringung unter menschenunwürdigen Umständen.
c) Zu Recht hat das LG, auf dessen Ausführungen Bezug genommen wird, eine schuldhafte Amtspflichtverletzung bejaht. Sowohl die Belegungsverhältnisse in den Haftanstalten des Landes als auch die Rspr. zu den Erfordernissen einer menschenwürdigen Unterbringung in Justizvollzugsanstalten waren vor der Zuweisung des Klägers in die JVA B hinlänglich bekannt und hätten Anlass zu vorsorglicher Abhilfe geboten. Ein Mangel an Einzelhaftplätzen stellt keinen hinreichenden Grund dafür dar, geltendes Recht zu unterlaufen (BGHZ 161, 33). Das beklagte Land hat es unterlassen, rechtzeitig geeignete Vorkehrungen zu treffen, sodass insoweit zumindest der Vorwurf des Organisationsverschuldens begründet ist. Dass die vor Ort tätig gewordenen Beamten selbst subjektiv nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben mögen, verma...