§ 22a Abs. 1 Nr. 1, § 6b StVG
Leitsatz
Vor dem Hintergrund der Verhinderung von Kennzeichenmissbrauch im Zusammenhang mit Straftaten und zum Schutz des staatlichen Zulassungswesens belegt § 22a Abs. 1 Nr. 1 StVG jede Abgabe von Fahrzeugkennzeichen an Dritte ohne vorherige Anzeige an die zuständige Zulassungsstelle gem. § 6b StVG mit Strafe. § 22a StVG erfasst auch die Kurzzeitkennzeichen nach § 16 Abs. 2 FZV.
OLG München, Urt. v. 12.1.2011, 4 StRR 171/10
Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft legte den Angeklagten folgenden Sachverhalt zur Last:
Die Angeklagten veräußerten in bewusstem und gewollten Zusammenwirken im Rahmen ihres "Kfz-Zulassungsdienstes" in der L. Straße in M. jeweils gegen Bezahlung eines Geldbetrags amtliche Kurzzeitkennzeichen einschließlich der dazu gehörenden, auf sie oder dritte Personen ausgestellte Fahrzeugscheine an anderweitig verfolgte Personen, obwohl die Angeklagten die Weiterveräußerung in keinem der Fälle gem. § 6b StVG bei der dafür zuständigen Zulassungsbehörde angezeigt hatten.
Die amtlichen Kurzzeitkennzeichen einschließlich der dazu gehörigen Fahrzeugscheine hatten die Angeklagten selbst oder durch Vermittlung Dritter jeweils bei der dafür zuständigen Zulassungsstelle unter Vorgabe der Verwendung für eigene Kfz. zu Probe-, Prüfungs- oder Überführungsfahrten erlangt.
Dies wussten die Angeklagten.
Im Einzelnen handelt es sich um folgende Fälle:
- Das Kurzzeitkennzeichen xx am 8.6.2009 zwischen 15.00 und 16.00 Uhr gegen Bezahlung eines Geldbetrags i.H.v. 60,– EUR unter Vermittlung des anderweitig Verfolgten K. T. an den Zeugen W. M.
- Das Kurzzeitkennzeichen xx (gültig vom 29.5.2009 bis 2.6.2009) am 1.6.2009 gegen Bezahlung eines Geldbetrags von ca. 60,– EUR unter Beteiligung des anderweitig Verfolgten B. S. an den Zeugen O. A.
- Das Kurzzeitkennzeichen xx am 14.7.2009 gegen Bezahlung eines Geldbetrags i.H.v. ca. 80,– EUR an den anderweitig Verfolgten B. E.
- Das Kurzzeitkennzeichen xx am 19.10.2009 gegen Bezahlung eines Geldbetrags in unbekannter Höhe an den anderweitig Verfolgten Z.-J. M.
- Das Kurzzeitkennzeichen xx am 28.12.2009 gegen Bezahlung eines Geldbetrags von 70,– EUR an den anderweitig Verfolgten G. A.
- Das Kurzzeitkennzeichen xx (gültig vom 12.1.2010 bis 16.1.2010) zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor dem 13.1.2010 gegen Bezahlung eines Geldbetrags i.H.v. ca. 70,– EUR an den anderweitig Verfolgten O. I.
Das AG sprach die Angeklagten aus Rechtsgründen frei.
Gegen dieses freisprechende Urteil wendete sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, die auf die Sachrüge gestützt war. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen:
" … . Die nach §§ 333, 335 Abs. 1, 337, 341 Abs. 1, 344, 345 Abs. 1 StPO zulässige Sprungrevision der Staatsanwaltschaft erweist sich aufgrund der erhobenen Sachrüge als begründet. Das Urteil des AG verletzt § 22a Abs. 1 Nr. 1 StVG.
1. Nach § 22a Abs. 1 Nr. 1 StVG wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer Kennzeichen ohne vorherige Anzeige bei der zuständigen Behörde herstellt, verteilt oder ausgibt. Die Angeklagten haben im Rahmen ihres Unternehmens in den angeklagten sechs Fällen Kennzeichen entweder unmittelbar oder durch Vermittlung Dritter weiteren Personen zur Verfügung gestellt und damit das Tatbestandsmerkmal des Ausgebens erfüllt. Unter Ausgeben i.S.d. § 22a Abs. 1 Nr. 1 StVG versteht das Gesetz jede entgeltliche oder unentgeltliche Weitergabe von Kennzeichen, wenn diese entgegen § 6b StVG ohne vorherige Anzeige bei der zuständigen Behörde erfolgt. Dies ist vorliegend der Fall. Die Sichtweise des AG, die Anzeigepflicht nach § 6b Abs. 1 StVG diene ausschließlich der Überwachung der Kfz.-Schilderhersteller, greift zu kurz und findet weder im Wortlaut der Vorschrift noch in ihrer Entstehungsgeschichte eine Stütze (BT-Drucks 14/8766 S. 59). Die Anzeigepflicht nach § 6b StVG trat an die Stelle des Bescheinigungsverfahrens nach früherem Recht, macht aber keinen Unterschied zwischen Schilderherstellern und sonstigen Personen, die geschäftlich oder in anderer Weise mit Kraftfahrzeugkennzeichen umgehen. Diese Sichtweise wird durch einen Blick auf § 6 Abs. 1 Nr. 8 StVG bestätigt, der – wie auch § 22a StVG – im Zusammenhang mit dem strafrechtlich erheblichen Umgang mit Kraftfahrzeugkennzeichen zu sehen ist.
2. Im Übrigen tritt der Senat der Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft ausdrücklich bei, die ihre Sachrüge in der Revisionsbegründung wie folgt ausgeführt hat:
Die Vorschriften der §§ 6b, 22a StVG wurden mit dem Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes vom 3.8.1978 (BGBl I S. 1177) eingeführt. Nach der ausdrücklichen Intention des Gesetzgebers sollte damit insb. auch der Missbrauch von Fahrzeugkennzeichen für die Begehung von Straftaten bekämpft werden (vgl. BT-Drucks 8/971 S. 1, 6, 8). Dieses Ziel kann aber nur dann effektiv erreicht werden, wenn sämtliche Kraftfahrzeugkennzeichen und damit auch die erst später eingeführten (dazu nachfolgend) Kurzzeitkennzeichen im Sinne von § 16 Abs. 2 FZV den Regelungen der §§ 6b, 22a StVG unterfallen. Ansonsten würd...