VVG § 6; AVB Krankenversicherung und AVB Pflegeversicherung § 15 Nr. 3
Leitsatz
1. Ob das Versicherungsverhältnis wegen Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts des VN ins Ausland endet, ist allein objektiv danach zu bestimmen, ob er ihn tatsächlich vor allem in beruflicher und familiärer Hinsicht dauerhaft im Ausland nimmt.
2. Der VR ist bei Anzeige eines Wegzugs des VN ins Ausland verpflichtet, den VN über die Möglichkeiten der Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes, vor allem jene einer Anwartschaftsversicherung, zu beraten.
OLG Saarbrücken, Urt. v. 14.3.2012 – 5 U 358/11
Sachverhalt
Der Kl. unterhielt bei der Bekl eine Krankheitskosten- und Pflegeversicherung. Dieser lagen AVB zugrunde, die in § 15 Nr. 3 lauten: Verlegt eine versicherte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen Staat als die in § 1 Abs. 5 genannten, endet insoweit das Versicherungsverhältnis, es sei denn, dass es aufgrund einer anderen Vereinbarung fortgesetzt wird … Bei nur vorübergehender Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts … kann verlangt werden, das Versicherungsverhältnis in eine Anwartschaftsversicherung umzuwandeln.
Aus beruflichen Gründen hielt sich der Kl. im Zeitraum vom 15.9.2008 bis zum 31.8.2009 in der Türkei auf. Im Jahr 2008 zog die Bekl. weiter den monatlichen Beitrag i.H.v. 371,99 EUR vom Kl. ein. Mit Schreiben v. 4.1.2009 teilte der Kl. der Bekl. mit, dass er seit dem 15.9.2008 in der Türkei wohne und er trotz seines Antrags, seine Tarife in den Tarif AVL, der nur 38,30 EUR kosten solle, umzustellen, von der Bekl. nichts gehört habe. Er bat, dies schnellstmöglich zu erledigen. Der Tarif AVL ist ein Auslandstarif. Die Bekl. antwortete mit Schreiben v. 26.1.2009, in dem sie dem Kl. die Aufhebung seines Versicherungsvertrags bestätigte. Den Abschluss eines Vertrags mit dem Auslandstarif AVL lehnte sie mit Schreiben v. 29.1.2009 ab. Nach dem Ende der beruflichen Tätigkeit des Kl. in der Türkei im August 2009 bezog der Kl. Arbeitslosengeld II. Er schloss zum 1.9.2009 einen neuen Kranken- und Pflegeversicherungsvertrag bei der Bekl. zum Basistarif ab.
Der Kl. hat behauptet, er habe aus beruflichen Gründen nur vorübergehend in der Türkei gewohnt. Er sei zwischendurch immer wieder in Deutschland gewesen. In einem früheren Telefonat sei ihm von der Bekl. erklärt worden, dass der AVL Tarif immer eine Anwartschaftsversicherung beinhalte.
Die Bekl. hat behauptet, der Kl. habe am 22.12.2008 telefonisch mitgeteilt, dass er in die Türkei ziehe. Der Kl. sei in diesem Gespräch auf die Möglichkeit, die Versicherung in eine Anwartschaftsversicherung umzuwandeln, hingewiesen worden. Einen Antrag habe er aber nicht gestellt.
2 Aus den Gründen:
“ … II. (1) Der Kl. hat gegen die Bekl. einen Anspruch auf Feststellung, dass der Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsvertrag mit der Bekl. unverändert, also über den 31.12.2008 hinaus bis heute fortbesteht.
(a) Dieser Vertrag zwischen den Parteien endete im Jahr 2008 nicht durch die berufliche Tätigkeit des Kl. und seinen Aufenthalt in der Türkei nach § 15 Nr. 3 AVB Krankenversicherung und § 15 Nr. 3 AVB Pflegeversicherung.
Beide Paragraphen sehen ein Ende des Versicherungsverhältnisses vor, wenn der VN bzw. die versicherte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einen Staat verlegt, der kein Mitglied der Europäischen Union ist oder ein Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum. Dazu gehört die Türkei nicht.
Dabei ist es ohne Belang, ob der Wegzug nur vorübergehend ist. § 15 Nr. 3 AVB Krankenversicherung umfasst diesen Fall ausdrücklich. Dies folgt aus S. 2, der dem VN bei einer nur vorübergehenden Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ausdrücklich das Recht gewährt, das Versicherungsverhältnis auf Antrag in eine Anwartschaftsversicherung umzuwandeln. Das heißt im Umkehrschluss, dass es bei der Beendigung des Versicherungsverhältnisses bleibt, solange der VN keine Umwandlung verlangt.
Auch § 15 Nr. 3 AVB Pflegeversicherung betrifft den Fall des nur vorübergehenden Wegzuges. Denn auch er regelt ein Antragsrecht, binnen eines Monats nach Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts eine besondere Fortsetzungsvereinbarung zu treffen. Das ist nur sinnvoll, wenn die Verlegung des Aufenthalts vorübergehend erfolgt, weil die Pflegeversicherung nur Leistungen bei einem Aufenthalt in Deutschland gewährt (§§ 1, 5 AVB Pflegeversicherung).
Der “gewöhnliche Aufenthalt’ ist der Ort, an dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person, ihr Daseinsmittelpunkt, liegt. Zu fordern ist nicht nur ein Aufenthalt von nicht geringer Dauer. Vielmehr ist das Vorhandensein weiterer Beziehungen zu dem Aufenthaltsort zu verlangen, speziell in familiärer oder beruflicher Hinsicht, in denen – im Vergleich zu einem sonst in Betracht kommenden Aufenthaltsort – der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person zu sehen ist. Dieser Begriff unterscheidet sich von dem Wohnsitzbegriff wesentlich nur dadurch, dass der Wille, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt oder Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, nicht erforderlich ist...