§ 252 S. 2 BGB enthält ebenfalls eine Hilfestellung für den Geschädigten. Danach gilt als entgangen der Gewinn, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Darin liegt nach heutigem Verständnis eine Beweisregel, eine Beweiserleichterung in Gestalt einer Vermutung: Ist ersichtlich, dass der Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte, dann wird vermutet, dass er gemacht worden wäre. Diese Vermutung ist freilich widerlegbar. Hierzu genügt jedoch nicht – wie beim Anscheinsbeweis – eine Erschütterung durch Nachweis der ernsthaften Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs, sondern es bedarf des Gegenbeweises, den jeweils der zu erbringen hat, der vom gewöhnlichen Verlauf Abweichendes behauptet. Der Ersatzpflichtige muss also beweisen, dass der Gewinn nach dem späteren Verlauf oder aus irgendwelchen anderen Gründen nicht gemacht worden wäre, während der Ersatzberechtigte wiederum den Beweis führen muss, dass ein Gewinn nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen höher ausgefallen wäre als nach dem gewöhnlichen Verlauf.
Volle Gewissheit, dass der Gewinn gezogen worden wäre, ist nach § 252 S. 2 BGB also nicht erforderlich; es genügt der Nachweis einer gewissen Wahrscheinlichkeit, die im Übrigen nicht schon beim Eintritt des zum Ersatz verpflichtenden Umstands bestanden zu haben braucht. Die Vorschrift verlangt also von dem Richter ein Wahrscheinlichkeitsurteil über die nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartende berufliche Entwicklung: Den Grad der Wahrscheinlichkeit nennt sie freilich nicht. Und sie gibt auch keinen Hinweis darauf, wie der gewöhnliche Verlauf der Dinge zu ermitteln ist.
Überhaupt ist die Reichweite der Vorschrift wie auch ihr Verhältnis zu § 287 ZPO nicht wirklich geklärt. Ihren ursprünglich materiell-rechtlichen Charakter hat sie nach ganz überwiegender Auffassung eingebüßt. Als Beweiserleichterung wird sie meist nur als Ergänzung zu § 287 ZPO verstanden, was in der Praxis dazu führt, dass sie bei der Bemessung entgangenen Gewinns meist ohne Unterscheidung mit der prozessrechtlichen Bestimmung zusammen aufgeführt wird. Sie hat überwiegend im kaufmännischen Verkehr Bedeutung: Dem nicht belieferten Kaufmann etwa wird die Schadensbemessung erleichtert, weil die Lebenserfahrung dafür spricht, dass er die Ware zumindest zum gewöhnlichen Marktpreis veräußert hätte und die Differenz zwischen Lieferpreis und Marktpreis seinem (Roh)Gewinn entspricht. Diese Vermutung führt zu einer Abstrahierung des Schadens, nicht jedoch zur Zuerkennung eines abstrakt und damit unabhängig vom Nachweis eines Vermögensnachteils zu ersetzenden Schadensersatzes, wie es beispielsweise § 288 BGB für den Zinsschaden vorsieht. Für den späteren Erwerbsschaden von im Jugendalter verletzten Personen ist der Hinweis auf den gewöhnlichen Verlauf der Dinge indes kaum hilfreich, denn es ist ja gerade offen, wie die spätere berufliche Entwicklung verläuft. Einen gewöhnlichen Beruf gibt es – wie dies Medicus veranschaulicht hat – gerade nicht, ebenso wenig übrigens wie einen gewöhnlichen Verdienst. Daher ist für eine abstrahierende Bemessung des Erwerbsschadens in solchen Fällen auf der Grundlage von § 252 S. 2 BGB zunächst kein Raum, bevor nicht zumindest das spätere Berufsbild, von dem dann ein bestimmter Verdienst abgeleitet werden kann, hinreichend wahrscheinlich gemacht worden ist.
Der Wert der Vorschrift liegt deshalb wohl am ehesten darin, den Richter anzuhalten, die Anforderungen an die Prognose und das damit verbundene Wahrscheinlichkeitsurteil nicht zu hoch zu setzen. Im Übrigen gilt für den Richter § 287 ZPO. Die Geltendmachung des Erwerbsschadens setzt deshalb die Darlegung und den Nachweis von Anknüpfungstatsachen voraus; das Beweismaß ist hier wie dort zumindest eine überwiegende, also eine 50 % irgendwie überschreitende Wahrscheinlichkeit. Und was zum gewöhnlichen Lauf der Dinge gehört, ist gerichtsbekannt und muss nicht bewiesen werden. In praxi wird daher in aller Regel die Lebenserfahrung (des Gerichts) entscheiden.