[8]“ … Der Kl. hat gegen die Bekl. keinen Freistellungsanspruch in Höhe der noch nicht beglichenen 23,80 EUR, da seinem anwaltlichen Vertreter insoweit kein Vergütungsanspruch zusteht. Bei dem Ordnungswidrigkeitenverfahren vor der Verwaltungsbehörde und vor dem AG handelt es sich um dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 S. 1 RVG, so dass der Rechtsanwalt die Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV RVG) nur einmal fordern kann.
[9] 1. Die Frage, ob das behördliche und das gerichtliche Ordnungswidrigkeitenverfahren als dieselbe oder verschiedene Angelegenheiten anzusehen sind, ist in Rspr. und Literatur umstritten.
[10] Nach überwiegender Auffassung handelt es sich um zwei Angelegenheiten (LG Konstanz zfs 2010, 167 mit zustimmender Anm. Hansens; AG Herford, Beschl. v. 17.2.2011 – 11 OWi 588/09, juris; AG Frankenberg BeckRS 2011, 19308; AG Solingen Der Verkehrsanwalt 2008, 174; AG Bitterfeld-Wolfen AGS 2010, 225; AG Aachen zfs 2011, 647 mit zustimmender Anm. Hansens; AG Hamburg-St. Georg JurBüro 2006, 359, aufgehoben durch LG Hamburg JurBüro 2006, 644; AG Gronau BeckRS 2010, 15778; AG Siegburg AGS 2011, 325; AG Detmold zfs 2007, 405 mit zustimmender Anm. Schulz-Henze; AG Nauen zfs 2007, 407 mit zustimmender Anm. Hansens; AG Düsseldorf AGS 2006, 504 mit zustimmender Anm. Schneider; AG Wildeshausen NZV 2011, 91; AG Friedberg NJW-RR 2009, 560; AG Neuss AGS 2008, 598; AG Tempelhof-Kreuzberg, Urt. v. 8.2.2011 – 9 C 278/10, nicht veröffentlicht; so auch Schneider AGS 2005 S. 7 ff.; ders. in: AnwKomm-RVG, 5. Aufl., vor VV 5107 ff. Rn 4; Mayer/Kroiß/Winkler, RVG, 5. Aufl., § 15 Rn 30; Burhoff, RVG 3. Aufl., Nr. 7002 VV Rn 17). Begründet wird dies insb. mit einem Verweis auf § 17 Nr. 1 RVG, der ausdrücklich bestimmt, dass das außergerichtliche und das gerichtliche Verwaltungsverfahren als unterschiedliche Angelegenheiten zu behandeln sind.
[11] Nach anderer Ansicht betreffen beide Verfahren dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 S. 1 RVG (LG Detmold, Urt. v. 17.6.2008 – 4 Qs 71/08, juris; LG Köln Rpfleger 2009, 273; LG Hamburg JurBüro 2006, 644; LG Magdeburg JurBüro 2008, 85; LG Koblenz AGS 2006, 174; LG Potsdam AGS 2009, 590; AG München DAR 2008, 612; AG Linz, Beschl. v. 7.4.2011 – 2080 Js 65451/10 – 3 Owi, juris; AG Luckenwalde JurBüro 2011, 256; AG Koblenz AGS 2007, 141; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 20. Aufl. § 17 Rn 62; Hartmann, KostG, 42. Aufl., § 15 Rn 40 “Ordnungswidrigkeit’; Göttlich/Mümmler, RVG, 3. Aufl., “Post- und Telekommunikationsdienstleistungen’ Nr. 4 S. 723). Aus § 17 Nr. 1 RVG könne nichts hergeleitet werden, weil der Umfang eines Verwaltungsverfahrens mit ggf. eigener Beweisaufnahme und Widerspruchsverfahren nicht mit dem Zwischenverfahren bei der Bußgeldstelle vergleichbar sei. Auch sonst spreche nichts für verschiedene Angelegenheiten.
[12] 2. Diese Auffassung trifft zu.
[13] a) Dem Katalog des § 17 RVG, der Verfahren aufzählt, die verschiedene Angelegenheiten sind, kann keine Entscheidung des Gesetzgebers über die Behandlung des außergerichtlichen und gerichtlichen Bußgeldverfahrens als verschiedene Angelegenheiten entnommen werden. Weder ist das Bußgeldverfahren hierin erwähnt noch sind die aufgeführten Verfahren mit dem Bußgeldverfahren vergleichbar.
[14] aa) Eine Anwendung des § 17 Nr. 1 RVG, der als Beispiel für verschiedene Angelegenheiten das Verwaltungsverfahren, das der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienende weitere Verwaltungsverfahren und das gerichtliche Verfahren aufführt, scheidet aus.
[15] Zwar handelt es sich auch bei dem außergerichtlichen Bußgeldverfahren um ein “Verfahren vor der Verwaltungsbehörde’ (vgl. die entsprechende Überschrift zu Teil 5, Abschnitt 1, Unterabschnitt 2 des VV RVG). Die Gliederung des VV RVG differenziert aber zwischen den Gebühren für die Tätigkeit in Bußgeldsachen, die in Teil 5 gesondert geregelt sind, und denen für die außergerichtliche und gerichtliche Tätigkeit in Verwaltungsverfahren bzw. Verfahren der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten, die in Teil 1 und 2 behandelt werden. Der Gesetzgeber des RVG hat also das im Ordnungswidrigkeitengesetz geregelte Bußgeldverfahren nicht unter den Begriff des “Verwaltungsverfahrens’ subsumiert.
[16] Gegen eine weite, das Bußgeldverfahren umfassende Auslegung spricht auch der Grundgedanke der Neuregelung in § 17 Nr. 1 RVG. Die Differenzierung der einzelnen Abschnitte der Verwaltungsverfahren in verschiedene Angelegenheiten war durch die Überlegung motiviert, dass die Behandlung als eine Angelegenheit in der BRAGO der “oftmals komplexen Tätigkeit des Rechtsanwalts in diesen Verfahren nicht gerecht’ wurde (BT-Drucks 15/1971, S. 191). Exemplarisch wird auf zwei in der anwaltlichen Praxis häufig vorkommende Beispiele verwiesen und zwar auf das Baugenehmigungsverfahren, in dem “der im Verwaltungsverfahren und im Widerspruchsverfahren anfallende Arbeitsaufwand ( … ) regelmäßig erheblich’ ist, sowie auf das “übliche beitragsrechtliche Mandat’, das regelmäßig eine Tätigkeit im Widerspruchsverfahren und eine solch...