GG Art. 103; ZPO § 544
Leitsatz
1. Die Nichtberücksichtigung eines Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
2. Liegt bei einer seitlichen Kollision zweier Fahrzeuge der Verdacht einer Unfallmanipulation nahe, ist durch Sachverständigenbeweis zu klären, ob eine unfallverhütende Fahrreaktion des Anspruchsstellers zu erwarten war, es sei denn, das Gericht sieht es als nicht erwiesen an, ob der Unfallgegner sein Fahrzeug willentlich in die andere Spur gelenkt hat.
(Leitsatz der Schriftleitung)
BGH, Beschl. v. 10.4.2018 – VI ZR 378/17
Sachverhalt
Der Kl. macht die Verurteilung der Bekl. zum Ersatz des Sachschadens aus einem behaupteten Unfallereignis geltend. Die Fahrzeuge der Unfallbeteiligten fuhren bis zu ihrer seitlichen Kollision nebeneinander. Die Bekl. zu 2, die Haftpflichtversicherung des am Zusammenstoß der Fahrzeuge beteiligten Bekl. zu 1 gründete ihren Klageabweisungsantrag darauf, dass das Schadensereignis von dem Kl. und dem Bekl. zu 1 willentlich herbeigeführt worden sei.
Das LG hat das Vorliegen einer verabredeten Kollision verneint und der Klage stattgegeben. Die Bekl. zu 2, zugleich Streithelferin des Bekl. zu 1 hat sich zum Nachweis der Verabredung des Unfalls auf die Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens bezogen. Das Berufungsgericht lehnte die Einholung des Gutachtens mit der Begründung ab, es fehlten Anknüpfungstatsachen für die Erstattung des Gutachtens und wies die Berufung zurück. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Bekl. zu 2 hatte Erfolg. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.
2 Aus den Gründen:
"… [3] II. (…) Das BG hat den Anspruch der Bekl. zu 2 auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt."
[4] 1. Das BG hat – soweit hier erheblich – ausgeführt, die Beweiswürdigung des LG in Bezug auf die Behauptung der Bekl. zu 2, es liege ein manipulierter Unfall vor, sei nicht zu beanstanden.
Die Haftung des Schädigers entfalle nur dann, wenn in ausreichendem Maße Umstände vorliegen, die die Feststellung gestatteten, dass es sich bei dem behaupteten Unfall um ein manipuliertes Geschehen handele. Hier sei zwar nicht von der Hand zu weisen, dass es einige solche Anzeigen gebe. Im Ergebnis reichten diese Umstände aber nicht aus. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Bekl. zu 1 möglicherweise nur unaufmerksam oder abgelenkt gewesen sei und deshalb seine Fahrspur nicht eingehalten habe. Der Unfall habe sich auf einer vielbefahrenen Straße bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h ereignet. Die Ehefrau des Kl. sei mit im Fahrzeug und dem Risiko eines Personenschadens ausgesetzt gewesen.
[5] Für die Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens fehle es an entsprechenden Anknüpfungstatsachen. Durch ein solches Gutachten könne nämlich nicht bewiesen werden, ob der Bekl. zu 1 willentlich oder absichtlich die Kollision herbeigeführt habe oder nicht. Es sei unstreitig, dass es eine streifende Kollision zwischen den beteiligten Fahrzeugen gegeben habe. Auf den ersten Blick ergebe sich anhand der eingereichten Fotodokumentationen der beteiligten Fahrzeuge ein kompatibles Schadensbild, das mit der Schilderung des Unfallhergangs durch die unbeteiligten Zeugen K im Einklang zu bringen sei.
[6] 2. Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand und verletzen die Bekl. zu 2 in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör.
[7] a) Art. 103 Art. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Art. 1 GG i.V.m. den Grundsätzen der ZPO die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (Senat NJW 2016, 641 Rn 6 m.w.N.; BVerfG WM 2012, 492 = BeckRS 2012, 6218).
[8] b) So verhält es sich im Streitfall. Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht den unter Beweis gestellten Vortrag der Bekl. zu 2, bei einem (tatsächlichen) Unfall sei ein unfallverhütendes bzw. -beendendes Fahrmanöver (auch) des Kl. zu erwarten gewesen, nicht ausreichend berücksichtigt hat und aus diesem Grund einem erheblichen Beweisangebot nicht nachgegangen ist.
[9] aa) Die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Ungeeignetheit des Beweismittels kommt nur dann in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass das Beweismittel zu dem Beweisthema sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann (BGH NJW-RR 2015, 358 = WM 2014, 2212 Rn 17 m.w.N.). Insoweit ist größte Zurückhaltung geboten (BGHZ 157, 79, 84 f. = NJW 2004, 767). Darüber hinaus scheidet die Ablehnung eines Beweisantrags als ungeeignet aus, wenn dadurch ein noch nicht erhobener ...