Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in der Entscheidung vom 17.9.2019, Az. VI ZR 396/18, zur fiktiven Schadensabrechnung von Beilackierungskosten geäußert. Eine weitere Entscheidung zu diesem Thema erging am selben Tage. Beide Sachen wurden zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG Aachen zurückverwiesen.
In der täglichen Unfallregulierung kommt Streit um die Erstattung von Beilackierungskosten nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall sehr häufig vor. Als Beilackierung bezeichnet man die Farbangleichung von Karosserieteilen, die an die Schadenstelle angrenzen.
Bei einer konkreten Abrechnung der Beilackierungskosten nach durchgeführter Reparatur gibt es kaum Probleme. Sieht das Sachverständigengutachten eine Beilackierung vor, wird tatsächlich beilackiert und werden die Kosten in Rechnung gestellt, ist die Beilackierung nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich. Der Geschädigte wird in seinem Vertrauen auf das Schadengutachten geschützt, wenn er den Auftrag nach Maßgabe des Gutachtens mit den Positionen "Beilackierung" oder "Beipolieren" erteilt und die Werkstatt entsprechend abrechnet.
Bisheriger Meinungsstreit
Bei der fiktiven Abrechnung der Beilackierungskosten weigern sich die Haftpflichtversicherungen oft, diese zu zahlen. Es wird behauptet, dass die Farbangleichung rein optischen Zwecken diene und mit der Beseitigung des Schadens selbst nichts zu tun habe oder dass erst durch eine Reparatur feststellbar sei, ob Beilackierungsarbeiten angrenzender Teile notwendig seien.
Auch in der Rechtsprechung und in der Literatur wurde diese Ansicht vertreten. Danach konnten fiktive Beilackierungskosten nur geltend gemacht werden, wenn sicher feststellbar war, dass eine Beilackierung notwendig war, was wiederum die tatsächliche Durchführung der Arbeiten voraussetzte. Denn eine Beilackierung von nicht durch den Schaden selbst betroffenen Fahrzeugteilen diene lediglich der Farbangleichung und rein optischen Zwecken. Mit der Beseitigung des Schadens selbst habe die Beilackierung nichts zu tun. Ob eine Beilackierung notwendig sei, könne angesichts der heutigen Reparaturmethoden nur bei einer tatsächlichen Durchführung der Arbeiten festgestellt werden. Bis dahin liege insoweit kein erstattungsfähiger Schaden vor. Kosten für die Ausführung von Reparaturarbeiten, deren Notwendigkeit sich erst im Rahmen der tatsächlichen Reparaturausführung zeige, sind daher nach dieser Ansicht bei der fiktiven Schadensabrechnung nicht erstattungsfähig.
Die andere Meinung in der Rechtsprechung hat vertreten, dass es für die Erforderlichkeit der Kosten im schadenrechtlichen Sinne genüge, dass eine optisch einwandfreie Reparatur mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne eine Farbtonangleichung nicht gelingen werde. Wenn der Sachverständige in seinem Schadengutachten die Beilackierung zur Vermeidung von Farbunterschieden als notwendig kalkuliert habe, gehörten die Kosten zum fiktiv abgerechneten Schadenersatz. Das Gutachten sei eine Prognose, und deshalb komme es nicht darauf an, ob lackiert und beilackiert wurde. Zudem habe sich in der gerichtlichen Praxis gezeigt, dass Sachverständige insb. bei Metalliclacken und kritischen Farbtönen die Erforderlichkeit der Beilackierung zur Farbtonangleichung und somit zur fachgerechten Durchführung der Reparatur häufig bejahen. Eine solche Feststellung hat zur Folge, dass der Geschädigte deren Erforderlichkeit nachgewiesen hat und die Kosten der Beilackierung auch bei fiktiver Abrechnung des Schadens erstattungsfähig sind.
Entscheidung des BGH
Im vom BGH nun entschiedenen Fall (Az. VI ZR 396/18) hatte das BG Aachen die Klage über 424,46 EUR mit der Begründung, die Beilackierung habe mit der Beseitigung des Unfallschadens nichts zu tun und der erforderliche Aufwand sei erst nach durchgeführter Reparatur festzustellen, abgewiesen. Eine Beweisaufnahme dergestalt, dass ein vom Gericht bestellter Gutachter klären solle, wie wahrscheinlich bei dem konkreten Farbton eine Farbabweichung sei, wurde nicht durchgeführt. Das Fahrzeug des Kl. war im Farbton "phantomschwarz Perleffekt" lackiert.
Dieser Ansicht ist der BGH nicht gefolgt, ein Anspruch auf Ersatz der streitigen Beilackierungskosten könne nicht verneint werden, § 249 Abs. 2 S. 1 BGB, § 287 Abs. 1 ZPO.
Begründung des BGH
Bei fiktiver Abrechnung sei der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu den tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Diesen Betrag habe das Gericht gem. § 287 Abs. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu ermitteln. Dabei sei zu prüfen, ob ein Schaden überwiegend wahrscheinlich sei.
Es liege in der Natur der Sache, dass bei der fiktiven Abrechnung eines Fahrzeugschadens stets eine gewisse Unsicherheit verbleibe, ob der objektiv zur Herstellung erforderliche und im Voraus zu bemessende Betrag demjenigen entspräche, der bei einer tatsächlichen Durchführung der Reparatur angefallen wäre. Dies habe das LG verkannt, da es eine absolute Gewissheit für die Schadensbemessung gefordert und damit ...