BGB § 249; ZPO § 287
Leitsatz
Bei fiktiver Schadensabrechnung eines Unfallschadens können im Schadensgutachten angesetzte Beilackierungskosten des Unfallfahrzeuges, die im Schadensgutachten angesetzt sind, nicht mit der Begründung als Schadensposition verneint werden, erst nach durchgeführter Reparatur lasse sich feststellen, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Erforderlichkeit von Beilackierungsarbeiten bei durchgeführter Reparatur spricht.
(Leitsatz der Schriftleitung)
BGH, Urt. v. 17.9.2019 – VI ZR 396/18
Sachverhalt
Bei einem Verkehrsunfall, für den die Bekl. in voller Höhe eintrittspflichtig ist, wurde das Fahrzeug des Kl., das mit dem Farbton "phantomschwarz Perleffekt" lackiert ist, beschädigt. Im Gutachten wurden Beilackierungskosten im Bereich der rechten vorderen Tür als erforderlicher Schadensbehebungsaufwand ausgewiesen. Der Kl. rechnete fiktiv unter Einbeziehung der Beilackierungskosten ab.
Das BG lehnte die fiktiv abgerechneten Beilackierungskosten mit der Begründung ab, deren Ersatzfähigkeit könne erst dann festgestellt werden, wenn sich nach durchgeführter Reparatur eine Abweichung des Farbtons der überarbeiteten Stelle von der übrigen Lackierung des Fahrzeuges ergebe. Wolle der Geschädigte eine Ersatzfähigkeit erreichen, müsse er reparieren lassen und konkret abrechnen.
Die Revision des Kl. hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"…"
[8] Die Revision hat Erfolg. Mit der Begründung des BG kann ein Anspruch des Kl. auf Ersatz der streitigen Beilackierungskosten nicht verneint werden, § 249 Abs. 2 S. 1 BGB, § 287 Abs. 1 ZPO.
[9] 1. Gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ist der Geschädigte eines Verkehrsunfalls, der es nach einem Sachschaden selbst in die Hand nimmt, den früheren Zustand herzustellen, berechtigt, vom Schädiger den dazu erforderlichen Geldbetrag zu verlangen. Dabei beschränkt sich das Ziel der Restitution nicht auf eine (Wieder-) Herstellung der beschädigten Sache; es besteht in umfassenderer Weise gem. § 249 Abs. 1 BGB darin, den Zustand herzustellen, der, wirtschaftlich gesehen, der ohne das Schadensereignis bestehenden Lage entspricht (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurt. v. 5.2.2013 – VI ZR 363/11, NJW 2013, 1151 Rn 11 m.w.N.). Der Geschädigte ist aufgrund seiner nach anerkannten schadensrechtlichen Grundsätzen bestehenden Dispositionsfreiheit in der Verwendung der Mittel frei, die er vom Schädiger zum Schadensausgleich beanspruchen kann. Er ist nicht dazu verpflichtet, sein Fahrzeug reparieren zu lassen (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurt. v. 23.5.2017 – VI ZR 9/17, NJW 2017, 2401 Rn 6 ff. m.w.N.), sondern kann auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens fiktiv abrechnen. Die Angaben des Sachverständigen zur Höhe der voraussichtlich anfallenden Reparaturkosten bestimmen nicht verbindlich den Geldbetrag, der i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zur Herstellung erforderlich ist. Bei fiktiver Abrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der Geschädigte, der nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf einer objektiven Grundlage zufriedengibt (Senatsurt. v. 3.12.2013 – VI ZR 24/13, NJW 2014, 535 Rn 10).
[10] 2. Den zur Herstellung objektiv erforderlichen (ex ante zu bemessenden) Betrag hat das Gericht gem. § 287 Abs. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu ermitteln (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurt. v. 22.7.2014 – VI ZR 357/13, NJW 2014, 3151 Rn 16 f.). Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des dabei nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurt. v. 22.7.2014 – VI ZR 357/13, NJW 2014, 3151 Rn 12 m.w.N.; v. 20.12.2016 – VI ZR 612/15, NJW-RR 2017, 918 Rn 7 m.w.N.). Solche Fehler hat die Revision hier indes aufgezeigt. Zwar ist das BG entgegen der Ansicht der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass den Kl. die Darlegungs- und Beweislast trifft. Es hat aber Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt und erhebliches Vorbringen des Kl. außer Acht gelassen.
[11] a) Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das BG an, dass den Kl. die Darlegungs- und Beweislast für die Erforderlichkeit der Kosten der Beilackierung trifft. Insoweit geht es nicht um die Verletzung der Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB), für die grds. der Schädiger die Beweislast trägt, sondern um die Schadenshöhe, die der Geschädigte auch im Rahmen des § 287 ZPO – soweit nach Abs. 1 S. 2 der Vorschrift erforderlich – nach den allgemeinen Grundsätzen darzulegen und ggf. zu beweisen hat, § 249 Abs. 2 S. 1 BGB (st. Rspr., Senatsurt. v. 25.4.1972 – VI ZR 134/7...