AUB 2014 5.2.3
Leitsatz
Ein Gesundheitsschaden, den ein Versicherter durch eine auch nicht in Suizidabsicht vorgenommene Strangulation erleidet, ist unfallversicherungsvertraglich nicht gedeckt.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Nürnberg, Urt. v. 24.10.2019 – 8 U 2209/18
Sachverhalt
Die Kl. unterhält eine private Unfallversicherung, in der ihr Sohn mitversichert ist. Der Vertrag sieht im Falle einer unfallbedingten Vollinvalidität die Zahlung einer Invaliditätssumme i.H.v. 273.000 EUR vor. Vereinbart ist die Geltung von AVB nach dem Muster der AUB 2014. Diese sehen insb. den folgenden Leistungsausschluss vor:
Zitat
"5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträchtigungen: (…)"
5.2.3 Gesundheitsschäden durch
▪ |
medizinische oder sonstige Eingriffe am Körper der versicherten Person; |
▪ |
Heilmaßnahmen.“ |
Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn die medizinischen Eingriffe oder Heilmaßnahmen, auch strahlendiagnostische und -therapeutische, durch einen unter diesen Vertrag fallenden Unfall veranlasst waren.
Am 28.5.2016 wurde der Sohn der Kl. im Treppenhaus des Anwesens der Kl. mit dem Hals in einer Schlinge an einem Seil hängend vorgefunden, das er zuvor am darüber befindlichen Treppengeländer befestigt hatte. Durch eine Strangulation mit diesem Seil und das Abschneiden der Sauerstoffversorgung erlitt der Sohn der Kl. eine erhebliche Schädigung des Gehirns. Unmittelbar zuvor hatte sich der Sohn der Kl. auf seinem Smartphone ein Video angesehen, in dem eine gezielt und freiwillig beigebrachte Strangulation ("throatlift") zu sehen ist.
2 Aus den Gründen:
"…"
Ergänzend ist auszuführen:
1. Zu Recht ist das LG zunächst davon ausgegangen, dass eine gezielt herbeigeführte Selbststrangulation, auch wenn diese nicht in Suizidabsicht erfolgt, den Ausschlusstatbestand der Ziff. 5.2.3 AVB verwirklicht (vgl. BGH r+s 2001, 171). Unerheblich ist dabei, ob die gezielte Strangulation aus autoerotischen oder anderen Motiven erfolgt.
2. Beanstandungsfrei ist das LG auch zu dem Ergebnis gekommen, dass der Sohn der Kl. die Strangulation, die zu den streitgegenständlichen tragischen Gesundheitsverletzungen geführt hat, selbst gezielt herbeigeführt hat. (…)
a) Zu Recht hat das LG die Umstände, dass der Sohn der Kl. mit dem Hals in einer zur Strangulation geeigneten Schlinge aufgefunden wurde, dieser unmittelbar zuvor im Internet gezielt nach Videos, die eine gezielte Strangulation zeigen, gesucht hat und sich mindestens ein solches Video auch angesehen hat, als Indizien dafür herangezogen, dass dieser nicht nur eine Szene habe darstellen wollen, die eine vermeintliche oder unmittelbar anstehende Strangulation zeigt, sondern auch tatsächlich eine Strangulation habe herbeiführen wollen. Dafür spricht auch, wie die Bekl. zu Recht ausführt, dass das Seil so befestigt war, dass eine Strangulation tatsächlich erfolgen konnte.
b) Dagegen sprechen die von der Kl. angeführten Umstände nicht im erheblichen Maße gegen die bewusste Herbeiführung einer Strangulation.
aa) So mag der Umstand, dass am Hals des Sohns der Kl. keine umlaufenden Strangulierungsmerkmale und auch keine Beeinträchtigungen des Halswirbels und des Adamsapfels gefunden wurden, sowohl nach der Wertung in den Ermittlungsakten als auch nach dem Vortrag der Kl. in der Klageschrift gegen eine Suizidabsicht sprechen. Eine fehlende Suizidabsicht schließt jedoch ein auf das gezielte Herbeiführen einer – vor dem Eintritt des Erstickungstodes abzubrechenden – Strangulation gerichtetes Handeln gerade nicht aus.
bb) Auch der Umstand, dass in der Nähe des Sohns der Kl. ein nicht umgefallener drehbarer Stuhl aufgefunden worden sei, mag erklären, dass der Sohn der Kl. die Kontrolle über die Situation verloren hat, spricht jedoch nicht dagegen, dass dieser die Strangulation zunächst gezielt herbeigeführt hat.
cc) Unerheblich wäre dabei, wenn der Sohn der Kl. während der Ausführung seines Plans die Kontrolle zu einem Zeitpunkt verloren haben sollte, in dem er zwar bereits das Seil mit der Schlinge befestigt gehabt, jedoch noch nicht unmittelbar mit der eigentlichen Strangulation begonnen hatte, und somit statt einer gezielten, gesteuerten Strangulation überholend eine nicht gezielte, ungesteuerte Strangulation stattgefunden hätte. Der genaue Hergang des Unfalls muss daher nicht weiter aufgeklärt werden.
(1) Der Ausschluss bei Eingriffen soll immer dann greifen, wenn sich deren spezifische Gefahr verwirklicht, auch dann, wenn der Eingriff anders verläuft als ursprünglich geplant oder die Gesundheitsschädigung durch Akte verwirklicht wird, die den Eingriff vorbereiten, begleiten oder diesem nachfolgen (zu medizinischen Heilmaßnahmen: OLG Celle r+s 2011, 33; LG Berlin r+s 2002, 439). Es soll gerade nicht darauf ankommen, ob die Heilmaßnahme planmäßig durchgeführt wird (vgl. Langheid/Wandt/Dörner, VVG, 2. Aufl., § 178 Rn 172). Der Ausschluss greift nur dann nicht, wenn keinerlei innerer Zusammenhang mit dem Eingriff besteht und der Unfall sich nur anlässlich des Eingriffs zufällig ereignet (OLG Saarbrücken r+s 1996, 507). Es ist kein Grund ersichtlich,...