BGB § 823 Abs. 2 § 826; StGB § 263
Leitsatz
1) Die Haftung des Herstellers eines abgasmanipulierten Kfz gegenüber dem Erwerber aus § 826 BGB setzt voraus, dass im Zeitpunkt des Erwerbs ein sittenwidriges Verhalten des Herstellers vorlag. Daran fehlt es, wenn der Hersteller die Öffentlichkeit und damit potentielle Erwerber über die Abgasmanipulation unterrichtet hat. Ab Mitte Oktober 2015 entfällt aufgrund der Informationspolitik des Herstellers der Vorwurf der Sittenwidrigkeit.
2) Für die Beurteilung, ob ein sittenwidriges Verhalten des Herstellers vorliegt, kommt es auf eine konkrete Kenntnis des Erwerbers nicht an. Wird der Erwerber im Verkaufsgespräch darüber unterrichtet, dass ein Rückruf wegen einer Abschalteinrichtung bevorsteht, entsteht ihm durch den Erwerb kein Schaden.
OLG Stuttgart, Urt. v. 26.11.2019 – 10 U 199/19
Sachverhalt
Der Kl. kaufte das erstmals im Jahre 2011 zugelassene Kfz am 25.7.2016. Das von dem beklagten Hersteller produzierte Fahrzeug unterfiel dem sog. Abgasskandal. Auf dem Prüfstand zur Typengenehmigung verfälschte es den Stickstoffausstoß durch Umschalten in den Modus 1. Nach Aufdeckung des Abgasskandals ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt den Rückruf der 2,4 Millionen betroffenen Fahrzeuge an und die Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit durch ein Software-Update. Das Update wurde bei dem Fahrzeug des Kl. durchgeführt. Der Kl. machte die Verurteilung des Herstellers zum Schadensersatz geltend. In erster Linie forderte er die Verurteilung des Herstellers zur Rückzahlung des Kaufpreises unter Abzug der gezogenen Nutzungen, hilfsweise Schadensersatz von mindestens 25 % des Kaufpreises sowie die Feststellung der Ersatzpflicht des beklagten Herstellers.
Das LG wies die Klage mit der Begründung ab, zum Zeitpunkt des Gebrauchtwagenkaufs habe die Bekl. keine Täuschungshandlung hinsichtlich des Kfz begangen, da der Kl. das Fahrzeug in Kenntnis des Abgasskandals gekauft habe. Mit der Berufung verfolgt der Kl. seine Klageanträge.
Der Kl. meint, etwaige Berichte über unzulässige Abschaltvorrichtungen hätten ihm keine Veranlassung für weitere Nachforschungen gegeben. Die Betroffenheit durch den Dieselskandal sei für ihn nicht ersichtlich gewesen, umso mehr, als er laufende Pressemitteilungen zu der Verstrickung von Volkswagen nicht habe verfolgen müssen. Der Sachverhalt sei nicht zuletzt aufgrund der Verschleierungs- und Vertuschungstaktik der Bekl. nicht aufgeklärt.
Die Bekl. ist der Auffassung, der Kl. habe in Kenntnis der unzulässigen Umschaltlogik den Kaufvertrag geschlossen, sodass eine Täuschungshandlung der Bekl. nicht vorliege. Ab September 2015 habe die Bekl. die Öffentlichkeit auch durch Einrichtung einer Website umfassend über das Vorhandensein der Umschaltlogik informiert. Weiterhin habe die Bekl. ihre Vertragshändler und Servicepartner über den Einsatz der das Prüfergebnis verfälschenden Umschaltlogik unterrichtet. Dass der Kl. diese Tatsachen nicht zur Kenntnis genommen habe, beruhe jedenfalls auf grob fahrlässiger Unkenntnis. Die Berufung des Kl. hatte keinen Erfolg. Das LG ging davon aus, dass das von dem Kl. erworbene Kfz eine unzulässige, das Prüfergebnis verfälschende Abschaltvorrichtung gehabt habe, verneinte jedoch sowohl eine Haftung der Bekl. wegen eines fehlenden Schadens des Kl. als auch eine sittenwidrige Veranlassung des Erwerbs des Fahrzeugs durch die Bekl.
2 Aus den Gründen:
"…"
[29] Dem Kl. steht kein Anspruch gegen die Bekl. auf Zahlung von Schadensersatz wegen des Erwerbs des mit dem Motor EA 189 ausgestatteten Fahrzeugs zu. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus § 826 BGB noch aus einer anderen Anspruchsgrundlage[.]
1.
[30] Das mit dem Motor EA 189 ausgestattete streitgegenständliche Fahrzeug war zwar bei seinem Inverkehrbringen durch die Bekl. mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2007 über die Typgenehmigung von Kfz hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (EUR 5 und EUR 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171 vom 29.6.2007; nachfolgend: VO 715/2007/EG) versehen. Aufgrund dieser unzulässigen Abschalteinrichtung drohte der Widerruf der erteilten, aber lediglich formal wirksamen EG-Typgenehmigung und in der Folge die Betriebsuntersagung oder -beschränkung auf öffentlichen Straßen gem. § 5 Abs. 1 FZV (vgl. ausführlich BGH, Beschl. v. 8.1.2019 – VIII ZR 225/17 Rn 18 ff.).
[31] Das Inverkehrbringen derart manipulierter Fahrzeuge erfolgte sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB. Die Bekl., die als Entwicklerin und Herstellerin des Motors wie des streitgegenständlichen Fahrzeugs für die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben verantwortlich war, hat in erheblichem Maße gegen die berechtigten Verkehrserwartungen verstoßen. Die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer Prüfstandserkennung mit Umschaltlogik widersprach offensichtlich den Vorgaben der VO 715/2007/EG. Ein Fahr- und Emissionsverhalten, das d...