VVG § 81; AKB A.2.2.2.2. 5.1
Leitsatz
1. Ein Unfall im Sinne der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Kraftfahrtversicherung liegt auch dann vor, wenn der Schaden durch den Versicherungsnehmer freiwillig herbeigeführt wurde.
2. Ob der Unfall vorsätzlich in Suizidabsicht herbeigeführt wurde, kann nur aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Indizien festgestellt werden; die Beweislast hierfür trägt der Versicherer.
OLG Dresden, Urt. v. 10.11.2020 – 4 U 1106/20
Sachverhalt
Der Kl. verlangt von der Bekl. im Wege gewillkürter Prozessstandschaft die Zahlung von Versicherungsleistungen aus einer bei ihr gehaltenen Vollkasko-Kfz-Versicherung. Der Kl. erwarb im Jahre 2017 den streitgegenständlichen Pkw und finanzierte diesen Kauf mit Hilfe eines Leasing-Vertrages bei der (…) GmbH, in dem er zugleich ermächtigt und verpflichtet wurde, im Schadensfall Ansprüche auf eigene Kosten und im eigenen Namen zugunsten der finanzierenden Bank geltend zu machen. Mit Wirkung zum 24.4.2017 schloss er einen Kasko-Versicherungsvertrag für das Fahrzeug bei der Bekl. ab. Auf das Vertragsverhältnis finden die AKB 2015 der Bekl. Anwendung. Am 3.7.2018 prallte der Kl., nachdem er beim Anfahren sein Fahrzeug stark beschleunigt hatte, frontal gegen einen Straßenbaum. Das Fahrzeug erlitt hierbei einen Totalschaden, die Schadenshöhe beträgt unstreitig 53.009,24 EUR.
2 Aus den Gründen:
"… Der Kl. hat einen Anspruch auf die begehrte Versicherungsleistung aus dem mit der Bekl. geschlossenen Versicherungsvertrag i.V.m. Ziff. A.2.5.1 der zwischen den Parteien vereinbarten AKB."
1. Anders als die Bekl. meint, handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Ereignis um einen “Unfall' i.S.d. Ziff. A.2.2.2.2 AKB. Die zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Kl. den Aufprall auf den Straßenbaum vorsätzlich herbeigeführt hat, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen. Selbst die vorsätzliche Herbeiführung eines Schadensfalls schließt einen “Unfall' i.S.d. AKB nicht aus; maßgeblich hierfür ist allein, dass der Schaden durch eine von außen plötzlich einwirkende mechanische Kraft herbeigeführt wird, wie sie hier durch den Zusammenprall mit dem Straßenbaum gegeben ist. Die Unfreiwilligkeit des Schadensereignisses gehört nach der Definition des A.2.2.2.2 nicht zum Unfallbegriff (Stiefel/Meyer, Kommentar zu den AKB 19. Aufl., A.2. AKB Rn 317). Anders als in der Unfallversicherung ist nämlich in der Fahrzeugversicherung das Merkmal der Unfreiwilligkeit in die Bestimmung des Unfallbegriffs nicht aufgenommen worden (BGH, NVersZ 1999, 35). Soweit früher gleichwohl vereinzelt die Auffassung vertreten wurde, ein freiwillig herbeigeführter Schaden könne niemals eine “Einwirkung von außen' darstellen, so entspricht dies nicht mehr der höchstrichterlichen Rspr. und h.M (BGH NJW 1981, 1315). Die vorsätzliche Herbeiführung des Schadens mithilfe eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr begründet damit lediglich einen subjektiven Risikoausschluss (…). Bestreitet der VR vor diesem Hintergrund die Unfreiwilligkeit, behauptet er in Wirklichkeit eine vorsätzliche Herbeiführung eines Unfallschadens, wofür er dann auch die Beweislast trägt (…).
2. Den ihr hiernach obliegenden Beweis der vorsätzlichen Herbeiführung des Unfalls hat die Bekl. nicht geführt. Es gilt insoweit der Beweismaßstab des § 286 ZPO, die Regeln des Anscheinsbeweises kommen der Bekl. nicht zugute, weil ein Suizid meist so sehr von besonderen Lebensumständen, der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen und seiner augenblicklichen Gemütslage, die wiederum von irrationalen Momenten beeinflusst sein kann, abhängt, das von einem typischen Geschehensablauf niemals gesprochen werden kann (…). Jedoch bleibt die grundsätzliche Möglichkeit, den Vorsatz als innere Tatsache aus einer Zusammenschau der Indizien anhand der Besonderheiten des Einzelfalles zu folgern (BGH r+s 1987, 173). Für einen solchen Indizienbeweis ist aber jedenfalls zu fordern, dass ein sehr hoher Grad der Wahrscheinlichkeit für die freiwillige Herbeiführung des Unfalls spricht. Anhaltspunkte für eine freiwillige Selbsttötung sind das Abkommen von einer geraden und trockenen Straße ohne erkennbare äußere Einwirkung, das Fehlen von Brems- und Kratzspuren oder von feststellbaren Mängeln am Kfz, persönliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten des VN, frühere Selbstmordversuche oder Ankündigungen. Sache des Anspruchstellers ist es dann, im Rahmen der sekundären Darlegungslast Umstände vorzutragen, die für die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs sprechen (…). Im Anschluss an das vom LG eingeholte Sachverständigengutachten kann von einer solchen Indizienlage indes nicht ausgegangen werden, was auch das LG im Ergebnis zutreffend angenommen hat.
Ein von der Bekl. behaupteter vorheriger Suizidversuch des Kl. im Jahr 2017, den sie auf einen Eintrag in der Ermittlungsakte und eine dort festgehaltene Tagebuchnummer der Polizei stützt, ist in keiner Weise substantiiert worden und auch durch die Ermittlungen der Polizei nicht hinreichend belegt. Der dieser Tagebuchnummer zugrunde liegen...