StVZO § 31a Abs. 1 S. 1
Leitsatz
Die Feststellung eines Geschwindigkeitsverstoßes i.S.d. § 31a Abs. 1 S. 1 StVZO ist weiterhin aufgrund der Messung mit einem geeichten Gerät möglich, das seine Rohmessdaten nicht speichert.
Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 23.9.2020 – 12 ME 130/20
Sachverhalt
Nach dem Ergebnis eines Messgeräts des Typs Traffistar S 350 wurde mit einem auf den Antragsteller zugelassenen Pkw am 10.11.2019 innerorts die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 45 km/h überschritten. Der verantwortliche Fahrzeugführer konnte nicht ermittelt werden. Mit Bescheid v. 6.4.2020 gab der AG dem ASt. sofort vollziehbar auf, für die Dauer von 21 Monaten ein Fahrtenbuch zu führen.
Den dagegen gerichteten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das VG Hannover mit Beschl. v. 13.8.2020 – 15 B 2678/20 abgelehnt und zur Begründung u.a. ausgeführt:
"Der hier in Rede stehende Verkehrsverstoß – die am 10.11.2019 erfolgte Geschwindigkeitsüberschreitung um 45 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften mit dem Fahrzeug des Antragstellers – ist durch die Dokumentation in dem Verwaltungsvorgang der zuständigen Bußgeldstelle (…) nachgewiesen. Entgegen der – für die übrigen Länder des Bundesgebietes nicht bindenden – Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Saarlands (Urt. v. 5.7.2019 – Lv 7/17, juris [= zfs 2019, 527]) geht das Gericht (mit der übereinstimmenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte) davon aus, dass eine Verwertbarkeit der Geschwindigkeitsmessung von einem Messgerät, das eine Nachprüfbarkeit des Messergebnisses aufgrund nicht vorhandener Rohmessdaten für den Betroffenen unmöglich macht, nicht ausgeschlossen ist. (…)"
2 Aus den Gründen:
"… Die gegen diesen Beschluss des VG gerichtete Beschwerde des ASt. hat keinen Erfolg. (…)"
Im Übrigen kann dem ASt. auch in der Sache nicht gefolgt werden. Nach § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO entscheidet das (Verwaltungs-)Gericht im Klageverfahren nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; für das (vorliegende) Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gelten insoweit jedenfalls keine strengeren Regeln. Vorbehaltlich besonderer, hier fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Vorschriften gilt danach der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, besteht also keine Bindung an starre Beweisregeln. Auf eine solche beruft sich der ASt. aber letztlich (erfolglos) mit dem Vorbringen, ein mittels geeichten Messgerätes ermittelter Geschwindigkeitsverstoß dürfe einer (verwaltungs-)gerichtlichen Entscheidung als Tatsache nur zugrunde gelegt werden, wenn einem Betroffenen zur Überprüfung der Richtigkeit des Messergebnisses im Einzelfall “Rohmessdaten' des eingesetzten Geräts zur Verfügung gestellt würden. Ein VG kann seine Überzeugungsgewissheit nach § 108 Abs. 1 VwGO vom Vorliegen einer Tatsache aber auch ohne (eine solche) objektive nachträgliche Kontrollmöglichkeit gewinnen und muss dies ggf. auch, notfalls sogar allein aufgrund des Parteivorbringens (vgl. nur Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl., § 108, Rn 4, m.w.N.). Der Senat hat dementsprechend bereits entschieden, dass der Einsatz des standardisierten Messverfahrens verwaltungsgerichtlich nur eine Nachweiserleichterung, nicht aber eine zwingende Voraussetzung darstellt, um einen Verkehrsverstoß i.S.d. § 31a Abs. 1 StVZO anzunehmen (vgl. Beschl. v. 19.7.2019 – 12 ME 91/19, m.w.N.). Weiterhin legt der ASt. auch durch die Bezugnahme auf die von ihm zitierten Entscheidungen nicht dar, welche Rohmessdaten seiner Ansicht nach im Einzelnen erforderlich seien und wie es damit entgegen des Vorbringens der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt als Zulassungsbehörde des Messgeräts möglich sein soll, den Messwert eines geeichten Messgeräts einzelfallbezogen über die bestehenden Möglichkeiten – etwa der Befundprüfung nach § 39 MessEG – hinaus nachträglich überzeugend auch nur in Zweifel zu ziehen.
Ein vom ASt. stattdessen bemühtes Recht auf “effektive Verteidigung' kennt die VwGO jedenfalls für Verfahren der vorliegenden Art nicht. Schließlich unterscheiden sich die Anforderungen an die Überzeugungsbildung im Straf- und Verwaltungsgerichtsverfahren, etwa hinsichtlich der Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises (vgl. für den Strafprozess verneinend: BVerfG, Beschl. v. 23.4.1991 – 1 BvR 1443/87, NJW 1991, 3139, und für den Verwaltungsprozess bejahend: BVerwG, Beschl. v. 23.1.2018 – 6 B 67/17, juris, Rn 6, sowie BVerfG, Beschl. v. 12.3.1985 – 1 BvR 571/81, juris, Rn 59), und kann daher auch aus diesem Grund eine Rspr. zu den (verfassungsrechtlichen) Beweisanforderungen für eine Sanktion nicht unbesehen auf eine – hier mit der Fahrtenbuchanordnung in Rede stehende – Maßnahme der Gefahrenabwehr übertragen werden. Damit bedarf es keiner Klärung der Fragen, ob insoweit im Bußgeldverfahren angefallene “Rohmessdaten' auch nach der Einstellung dieses vorsorglich aufbewahrt und dann für präventive Zwecke genutzt werden könnten und die vom ASt. geltend gemachte generelle “anlagenbedingte' Unverwertbarkeit von Geschwindigkeitsmessergebnissen des Typs Traffistar S 350 mit dessen Zulassung gera...