1) Aus der Sicht des Geschädigten ist das Ausbleiben von Zahlungen auf ein begehrtes Schmerzensgeld häufig Veranlassung, einen Zuschlag auf das an sich angemessene Schmerzensgeld wegen zögerlicher Regulierung zu fordern. Die vorliegende Entscheidung tritt der noch in der erstinstanzlichen Entscheidung angenommenen des Vorliegens einer zögerlichen Regulierung entgegen. Ausgangspunkt der Beurteilung des Regulierungsverhaltens der Haftpflichtversicherung des Schädigers ist, dass die Haftpflichtversicherung der Annahme eines Schmerzensgeldanspruchs entgegentreten darf, auch wenn die Klärung ihres Vorbringens zu einer Verzögerung der Regulierung führt. Auch wenn nachträglich die fehlende Erfolgsaussicht der Verteidigung der Haftpflichtversicherung ggf. nach einer zeitträchtigen Beweisaufnahme feststeht, abzustellen ist für die Feststellung des Vorliegens einer verschuldeten Verzögerung der Regulierung auf den Zeitpunkt vor der Klärung der Einwände der Haftpflichtversicherung. War der zu klärende Einwand vertretbar, liegt keine Verzögerung der Regulierung, sondern eine legitime Wahrnehmung der Interessen der Haftpflichtversicherung vor (vgl. BGH NZV 2005, 629; Diehl zfs 2017, 12).
Damit kann aus einer nachträglichen Verwerfung der Einwände der Haftpflichtversicherung mit der zwangsläufigen Folge einer verzögerten Regulierung im Allgemeinen nicht gefolgert werden, dass eine Erhöhung des Schmerzensgeldanspruchs stattzufinden hat. Lediglich eine Erhöhung der Prozesszinsen ist eine angemessene Reaktion.
2) Einzige tragfähige Grundlage für die Erhöhung des Schmerzensgeldes wegen verzögerlicher Regulierung ist eine Konstellation eines nicht vertretbaren Regulierungsverhaltens der Haftpflichtversicherung, das zu einer Vertiefung des Leidensdrucks des Geschädigten führt (vgl. auch Huber NZV 2005, 620 [622 ff.]).
Dieser Ausgangspunkt ist in der Rspr. durch die Entwicklung von Fallgruppen konkretisiert worden, die den Anwendungsbereich der Schmerzensgelderhöhung wegen vorwerfbarer zögerlicher Regulierung deutlich gemacht haben. Folgende Fallgruppen können erkannt werden:
a) Zermürbungstaktik gegen den wirtschaftlich schwächeren Geschädigten trotz erkannter Einstandspflicht und Ausbleibens der in jedem Fall geschuldeten (Teil-)Zahlung (vgl. OLG Braunschweig zfs 1995, 490; OLG Nürnberg zfs 1995, 452; OLG Nürnberg VersR 2007, 1137; OLG Naumburg NJW-RR 2008, 693).
b) Unzureichende Abfindungsangebote der Haftpflichtversicherung
Haftpflichtversicherungen versuchen, durch Angebote von Teilen der von ihr selbst anerkannten Schmerzensgeldbeträge zum Verzicht auf den – berechtigten – Rest des Anspruchs zu bewegen (OLG Jena VersR 2008, 1553 [1554]).
Auf einer vergleichbaren, zu beanstandenden, dem Geschädigten nachteiligen Regulierungstechnik beruht das Angebot der Haftpflichtversicherung, eine Zahlung des Schmerzensgeldes nur gegen einen Verzicht auf weitere Schadenspositionen anzubieten (vgl. OLG Frankfurt NJW 1999, 2447).
c) Evident sachwidriges Prozessverhalten der Haftpflichtversicherung
Da ein Verteidigungsverhalten der beklagten Haftpflichtversicherung gegen Grund und Höhe eines gegen sie geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs im Allgemeinen legitim und vertretbar ist, kann ein zur Verzögerung der Regulierung führendes Vorbringen im Rechtsstreit nur bei einer Evidenz der Abwegigkeit als vorwerfbare Verzögerung bewertet werden. Als Beispielsfall ist auf eine Entscheidung des OLG Nürnberg (zfs 2008, 129 [130]) zu verweisen. Zugrunde lag der Sachverhalt, dass eine Haftpflichtversicherung der Ermittlungsakte entnommen hatte, dass der Geschädigte zum Unfallzeitpunkt eine BAK von lediglich 0,035 Promille aufgewiesen hatte, sie aber gleichwohl unter erwartungsgemäß erfolglosem Beweisantritt eine deutlich höhere BAK behauptete.
Im vorliegenden Fall war keine der Fallgruppen einer verzögerlichen Regulierung erfüllt. Vielmehr hatte die Bekl. – die Entwicklung der Verletzungen der Kl. abwartend – in Höhe des zum Zeitpunkt der Zahlungen jedenfalls berechtigten Schmerzensgeldes – Leistungen erbracht.
In Fällen zögerlicher Regulierung mit darauf beruhendem Leidensdruck des Geschädigten wird im Allgemeinen ein Zuschlag von 20 % auf das an sich berechtigte Schmerzensgeld angenommen (KLG Saarbrücken zfs 2001, 255). In besonders schwerwiegenden Fällen ist auch eine Verdoppelung angenommen worden (OLG Frankfurt NVersZ 1999, 144; kritisch dazu Wiedemann, NVersZ 2000, 14 [15]).
RiOLG a.D. Heinz Diehl
zfs 3/2021, S. 143 - 145