Es bleibt zunächst festzuhalten, dass das gerichtliche Bußgeldverfahren prozessual nicht mit dem Strafverfahren gleichzusetzen ist. Das gerichtliche Bußgeldverfahren knüpft zwar an den strafprozessualen Vorschriften an, weist aber zum Teil auch erhebliche Abweichungen auf. Selbst die prozessualen Vorschriften für Taten, die zunächst mit einem Strafbefehl sanktioniert werden könnten, dienen nur als erste Anhaltspunkte, die nicht in vollem Umfang auf die Verhandlung über Ordnungswidrigkeiten übertragen werden können.
Die folgenden Argumente sprechen sämtlich für die Zulässigkeit des einvernehmlichen Vorziehens einer Bußgeldverhandlung:
1. Veranlassung der Hauptverhandlung, Verwerfung
Der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid liegt allein in der Hand des Betroffenen. Erst durch seinen Einspruch kann das Verfahren überhaupt eine Hauptverhandlung erreichen. Das unterscheidet das Bußgeldverfahren ganz grundlegend vom normalen Strafprozess, bei dem der Angeklagte es nicht in der Hand hat, ob eine Hauptverhandlung durchgeführt wird.
Der Öffentlichkeitsgrundsatz kommt auch in den Fällen nicht zum Tragen, in denen eine Hauptverhandlung nicht geboten erscheint und deshalb gemäß § 72 OWiG zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Betroffenen einvernehmlich durch Beschluss entschieden wird. Das hat zur Folge, dass auch keine öffentliche Urteilsverkündung gem. § 173 GVG erfolgt und sowohl der Verfahrensgang als auch das Ergebnis des Prozesses der Öffentlichkeit verborgen bleiben.
Der Einspruch, der grundsätzlich zu einer Hauptverhandlung führt, als auch die Einspruchsrücknahme, die das Verfahren beendet, liegen sowohl beim Strafbefehl als auch beim Bußgeldbescheid im Handlungsbereich des Betroffenen. Die Rücknahme des Einspruchs bedarf keiner Einwilligung des Gerichts oder der Staatanwaltschaft und ist auch unmittelbar vor und zu Beginn des Termins möglich, wenn auch zu dem Preis, dass der Bußgeldbescheid rechtskräftig wird. Die Öffentlichkeit erfährt dann noch nicht mal den Beschuldigungsvorwurf.
Umgekehrt muss das Gericht bei einem nicht erschienenen Beschuldigten, der nicht von der Verpflichtung zum Erscheinen entbunden ist, den Einspruch gem. § 74 Abs. 2 OWiG ("ohne Verhandlung") verwerfen, also bevor der Bußgeldbescheid verlesen wird. Bei einem Strafverfahren wird dagegen bei einem nicht erschienenen und nicht kurzfristig vorführbaren Angeklagten zumindest ein neuer Termin anberaumt und die Öffentlichkeit erhält damit eine neue Chance am Termin teilzunehmen.
Im Vergleich zur Einspruchsrücknahme und zur Verwerfung des Einspruchs wegen Nichterscheinens führt ein einvernehmlich vorgezogener Hauptverhandlungstermin zu einem geringeren Informationsdefizit einer abstrakten Öffentlichkeit, auch wenn die Vorziehung dem einzelnen potentiellen Zuhörer nicht in seine Zeitplanung passt und er von der Vorziehung überrascht werden könnte. Denn die Teilnahme einer abstrakten Öffentlichkeit an anderen Verhandlungen bleibt weiter möglich. Es gibt deshalb keinen Grund das Informationsinteresse einer abstrakten Öffentlichkeit bei der Vorziehung von Hauptverhandlungen stärker zu gewichten als bei Einspruchsrücknahme und Verwerfung.
2. Verspäteter Aufruf
Das Pendent zu einer vorgezogenen Verhandlung ist der verspätete Aufruf. Auch dieser gehört regelmäßig zur forensischen Praxis. Es könnte der Einwand erhoben werden, dass bei einer Verspätung die Öffentlichkeit die Chance hat, zu entscheiden, ob sie warten wolle oder nicht, während die überraschende Vorziehung hierzu keine Chance ließe. Bei wesentlichen Verspätungen wird dieses Argument aber deutlich schwächer, da lebensnah davon ausgegangen werden muss, dass der Besuch einer einzelnen konkreten Bußgeldverhandlung kaum einem ganzen Tagesplan ausfüllen wird. Der Öffentlichkeitsgrundsatz darf sich zwar nicht allein an den Gepflogenheiten des Normalbürgers orientieren, sondern muss auch die Teilnahme von Zuhörern mit ungewöhnlichen Vorlieben ermöglichen. Wenn aber jemand tatsächlich gerne Zuhörer von Bußgeldverhandlungen sein möchte, ist ihm zuzumuten, dass eine auch an Effizienz orientierte forensische Praxis einvernehmlich Bußgeldverhandlungen vorziehen kann, ohne dass dies einer besonderen vorherigen Publizitäts...