Im eingangs beschriebenen Fall griff das LG Aschaffenburg die "neuere" Rechtsprechung auf und führt sie konsequent fort. Dort heißt es in den maßgeblichen Punkten:
Zitat
[…] Die von dem Beklagtenvertreter vorgelegte Statistik der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) für das Jahr 2015 belegt kein entsprechendes Verkehrsbewusstsein. Aus ihr ergibt sich, dass zum damaligen Zeitpunkt lediglich 56 % der motorisierten Zweiradfahrer ergänzend zum Helm Schutzkleidung trugen, wobei lediglich 26 % eine komplette Schutzkleidung trugen. Dabei bleibt offen was unter Schutzkleidung im Unterschied zu kompletter Schutzkleidung zu verstehen ist, so dass die ohnehin noch relativ geringe Quote mangels ausreichender Differenzierung nicht aussagekräftig ist. […] Selbst unterstellt, dass bereits zum Unfallzeitpunkt der Anteil der Schutzkleidung tragenden Motorradfahrer angestiegen ist, lässt sich daraus nicht ein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum Tragen von kompletter Schutzkleidung herleiten. Zudem ergibt sich im Umkehrschluss gerade, dass 44 %, damit nahezu die Hälfte der motorisierten Zweiradfahrer, neben dem Helm gerade überhaupt keine weitere Schutzkleidung trugen.
Nach Auffassung des Gerichts ist überdies zwingend zu differenzieren zwischen einem allgemeinen Verkehrsbewusstsein Schutzkleidung bei kurzen Fahrten innerorts und einem solchen Schutzkleidung bei Fahrten über Land mit deutlich höheren Geschwindigkeiten und damit auch deutlich höherem Gefahrpotenzial zu tragen. Allein aus dem Fahren eines hoch motorisierten Zweirads lässt sich nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht darauf schließen, dass bei Fahrern dieser Maschinen ein allgemeines Verkehrsbewusstsein besteht, dass generell Schutzkleidung getragen wird, da insoweit seitens der Fahrer hinsichtlich der beabsichtigten Fahrtstrecke und der insoweit angemessenen Schutzkleidung differenziert wird. […]
Auch aus den Empfehlungen des ADAC kann kein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum Tragen solcher Schutzkleidung, zumal innerorts, hergeleitet werden. Aussagen und Empfehlungen von mit dem Thema "Motorrad-" bzw. "Verkehrssicherheit" befasster Verbände können keinen Beleg für ein entsprechendes allgemeines Verkehrsbewusstsein liefern (BGH, Urt. v. 17.6.2014, VI ZR 281/13, juris, Rn. 14). Empfehlungen ist es immanent, dass ihnen situations- und personenabhängig mal mehr und mal weniger nachgekommen wird, da sie gerade keinen verbindlichen Charakter haben.
Soweit die Beklagten Sachverständigenbeweis dafür anbieten, dass das Bewusstsein besteht, dass Schutzkleidung geeignet ist schwer, schwerste und tödliche Verletzungen zu verhindern, handelt es sich um ein ungeeignetes Beweismittel. Überdies würde selbst der Nachweis eines solchen Bewusstseins nicht zwingend dazu führen, dass der Nachweis eines allgemeinen Bewusstseins zum Tragen von Schutzkleidung innerorts erbracht ist […]