[…] II. Die Betroffene ist aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.
Die Betroffene hat bestritten, die jeweils verantwortliche Fahrzeugführerin gewesen zu sein. Sie ließ über Ihren Verteidiger vortragen, dass das jeweils streitgegenständliche Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen […] ausschließlich durch Frau A.F. genutzt und geführt werde. Diese sei auch auf den jeweiligen Tatfotos deutlich erkennbar. Das Fahrzeug sei auf die F. GmbH zugelassen und ihr eigener Ehemann Ti. F. habe hierzu auch keinen Bezug. Vielmehr sei dessen Vater To. F. der Geschäftsführer der Fahrzeughalterin, der seiner Ehefrau A.F. – der jeweils verantwortlichen Fahrzeugführerin – das Fahrzeug zur Nutzung überlassen würde. Auf Nachfrage des Gerichts bestätigte die Betroffene, dass ihr das jeweils gemessene Fahrzeug Daimler noch nie zum Fahren zur Verfügung gestellt worden sei.
Im Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere durch die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder der jeweils gemessenen Fahrzeugführerin einerseits sowie der Betroffenen und der als Zeugin im Fortsetzungstermin vernommenen A.F. andererseits, vermochte es das Gericht zwar, auffällige Ähnlichkeiten zwischen der Betroffenen und der Zeugin A.F. (Geschlecht, gleiches Alter, schmale Gesichtsform, Haaransatz und volle Lippen) festzustellen, nicht jedoch, sich die sichere Überzeugung ohne berechtigte Zweifel dahingehend zu verschaffen, dass die Betroffene die ihr zur Last gelegten Taten tatsächlich auch begangen hat. Vielmehr erscheint es aus Sicht des Gerichts in beiden Fällen gar wahrscheinlicher, dass es sich bei der verantwortlichen Fahrzeugführerin jeweils um die Zeugin A.F. handelt.
III. 1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.
2. Demgegenüber beruht die Entscheidung über die notwendigen Auslagen der Betroffenen auf § 109a Abs. 2 OWiG. Danach kann in Abweichung von der grundsätzlichen Auslagenerstattung nach § 467 Abs. 1 StPO davon abgesehen werden, solche notwendigen Auslagen eines Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, die dieser durch ein rechtzeitiges Vorbringen entlastender Umstände hätte vermeiden können. Im vorliegenden Fall liegen nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm vor (a). Ebenfalls sind in Ausübung richterlichen Ermessens die vollständigen Auslagen der Betroffenen bei ihr zu belassen (b).
a) Im Hinblick auf die Tatbestandsseite der Norm sind hiervon alle Umstände umfasst, die den gegen den Betroffenen erhobenen Vorwurf ausräumen können, vor allem also die Behauptung, nicht der Täter zu sein. Zu den Umständen gehören damit sowohl Tatsachen wie Beweismittel, die nur dem Betroffenen oder seinem Verteidiger bekannt sind, und deren Bekanntmachung ihn insbesondere bei der Beschuldigung besserstellen würde. Ferner muss der Umstand wesentlich sein. Das ist er, wenn das Verfahren auf die Kenntnis des Umstands zeitlich kürzer oder mit geringerem Verfahrensaufwand reagiert hätte. Es muss also eine gewisse Kausalität zwischen dem nicht vorgebrachten entlastenden Umstand und der Einstellung oder dem Freispruch bestehen. Ist der Umstand der mit der Sache befassten Verfolgungsbehörde bekannt, ist er nicht verschwiegen; hätte er bekannt sein können, ist die Ermessensentscheidung nach dem Maß der Erkenntnismöglichkeit abzuschätzen. Ein Umstand, der keine Auswirkung auf das Verfahren hat, ist nicht wesentlich und fällt nicht unter Abs. 2. An der Anwendbarkeit des § 109a Abs. 2 OWiG fehlt es, wenn das Verfahren unabhängig von dem Verhalten des Betroffenen bereits früher hätte eingestellt werden müssen. Der Umstand darf der Verwaltungsbehörde, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht im Rahmen der üblichen Ermittlungs- und Aufklärungstätigkeit nicht zugänglich sein – seine Offenbarung muss gerade dem Betroffenen obliegen. Die Anwendung der Vorschrift erfordert also in der Regel, dass die Verwaltungsbehörde sachgerecht ermittelt hat; soll der zum Tatvorwurf schweigende Betroffene mit einem Messfoto überführt werden, ist von der Behörde vor dem Erlass eines Bußgeldbescheids ein Lichtbildabgleich zu erwarten. Rechtzeitig ist das Vorbringen, wenn die entlastenden Umstände so früh vorgebracht werden, dass Auslagen vermieden werden. Später erlangte Kenntnisse hat der Betroffene unverzüglich mitzuteilen. Die Rechtzeitigkeit beurteilt sich nach einem objektiven Maßstab, nämlich dem der Möglichkeit, die Entstehung von Auslagen zu verhindern (Krenberger/Krumm, OWiG, § 109a Rn 13-15).
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs hat die Betroffene eigene Auslagen verursacht, indem sie wesentliche entlastende Umstände verzögert vorgebracht hat. Nachdem im Hinblick auf den Geschwindigkeitsverstoß vom 28.7.2022 die Zeugenanhörung vom 12.8.2022 bei der Fahrzeughalterin F. GmbH unbeantwortet blieb, hat die Verwaltungsbehörde mit Schreiben vom 21.9.2022 den Ermittlungsdienst des Landkreises W. mit der Fahrerermittlung beauftragt, der daraufhin mit Schreiben vom 21.9.2022 aufgrund einer im öffentlichen Bereich geführten Internetreche...