Die Mietwagenfront schien – jedenfalls in Nordrhein-Westfalen – lange Zeit beruhigt, nachdem sich die mit Verkehrsunfallsachen befassten Senate aller drei Oberlandesgerichte (Düsseldorf, Hamm und Köln) auf "Fracke", also das arithmetische Mittel aus Schwacke und Fraunhofer, als einheitliche Schätzgrundlage geeinigt hatten. Die Zeit scheint vorbei. Wenn weitere Gerichte dem Bonner Beispiel folgen, wird auch dieses Bundesland bald wiederum den kleinteiligen und kaum mehr überschaubaren Flickenteppich in der Rechtsprechungspraxis der Instanzgerichte haben, den es eigentlich zu überwinden gilt. Es geht eben nicht nur darum, was der Richter in seinem eigenen Bezirk – zumeist, wie auch hier, ohne sachverständige Beratung – für eine sachgerechte Schätzgrundlage hält, sondern auch darum, den an der Unfallregulierung beteiligten Personen und Instanzen Orientierung zu geben. Die aber geht, wie sich in einer Untersuchung zur Spruchpraxis der Land- und Amtsgerichte im OLG-Bezirk Düsseldorf zeigen ließ (Scholten, DAR 2014, 72 ff.) verloren, wenn sich jeder Spruchkörper nach gusto entscheidet.
Dabei soll einer kritischen Überprüfung der Grundannahmen beider Schätzgrundlagen keineswegs widersprochen werden. Sie ist nötig. Und daher ist es richtig, die Leistungsfähigkeit der beiden Tabellen auf der Grundlage ihrer aktuellen Methodik und neuer Einsichten aus der Praxis immer wieder einer Kontrolle zu unterziehen. Das Landgericht Bonn sieht nun allerdings den wesentlichen Mangel der Fraunhofer-Erhebung in der Tatsache, dass sie eine Einstufung der Fahrzeuge nach dem ACRISS-System vornimmt. Diese Klassifizierung lasse keinen Schluss auf den wahren Anschaffungspreis zu und sei daher für den Marktvergleich nicht geeignet. Nun ist die ACCRIS-Klassifizierung nichts Neues. Es handelt sich um ein vom Verband der Autovermieter eingeführtes System, das u.a. die Vergleichbarkeit zwischen den Marken erleichtert. ACRISS steht für "The Association of Car Rental Industry System Standards." Das System unterscheidet nach vier Kategorien; nämlich 1) Mietwagen-Kategorie (zum Beispiel Kleinwagen oder Kompaktklasse), 2) Bauart/Typ (zum Beispiel Zwei- oder Viertürer, SUV oder Cabrio), 3) Getriebeart (manuell oder Automatikschaltung) und 4) Kraftstoff/Klimaanlage. Danach taugt ACRISS durchaus zur Klassifikation eines Fahrzeugs, mag man diese auch für zu grob halten. Vor allem aber bestimmt es die Realität. Der Geschädigte, der sich auf dem Markt nach einem Ersatz umschaut, trifft auf ein so geordnetes Angebot der Vermieter. Dann aber ist es nur konsequent und angemessen, wenn man eben diese Angebote vergleicht. Richtig ist, dass der Marktpreis des Fahrzeugs bei diesem Vergleich, der sich unmittelbar an den Angeboten für dessen Vermietung orientiert, keine Rolle spielt. Andererseits können Ausstattungsvarianten, die bei der Kategorisierung unberücksichtigt sind und einen Preisunterschied begründen, durch Zuschläge Berücksichtigung finden. So hat der Geschädigte, dessen teurer VW-Golf mit Navi, Vierrad-Antrieb und Anhängerkupplung beschädigt ist, auch nach diesem System eben nicht nur Anspruch auf die Kosten für die Anschaffung eines Standard-Autos, das nur den vorgenannten Merkmalen entspricht, sondern auf ein entsprechend erhöhtes Entgelt. Die Tauglichkeit der Erhebung als solche wird durch den konkreten Marktpreis des geschädigten Fahrzeugs in Wahrheit nicht berührt.
Unabhängig davon: Bevor man sich von einer weitgehend einheitlichen Rechtsprechung verabschiedet, dürfte es doch angezeigt sein, die Vor- und Nachteile beider Instrumente näher zu beleuchten. Und was das Landgericht Bonn hier zu den Einwänden gegen die Schwacke-Liste sagt, ist allenfalls dünn zu nennen. Zudem gibt es andere Wege als nur Fraunhofer oder Schwacke oder Fracke. Das OLG Saarbrücken jedenfalls hat sich kürzlich (OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.5.2023 – 3 U 20/23) auch von "Fracke" verabschiedet, nicht aber um sich Schwacke anzuschließen, sondern um "Fraunhofer plus" zu folgen. Anders als die 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn hält also ein von einem renommierten Verkehrsrechtler und Kommentator geführter Senat Fraunhofer offenbar auch derzeit nicht für obsolet.
Die Bonner Entscheidung stammt von einem Einzelrichter. Der muss an den Landgerichten nicht allein entscheiden. Vielmehr gibt ihm § 348 Abs. 3 Nr. 2 ZPO die Möglichkeit, den Rechtsstreit der Kammer zur Entscheidung über eine Übernahme vorzulegen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Abweichung von der Rechtsprechung des zuständigen OLG und der eigenen Berufungskammern könnte – jedenfalls wenn sie so grundsätzlich begründet wird ("keine Heranziehung der Fraunhofer-Liste mehr als Schätzgrundlage", s.o. S. XXX )) – eine solche Vorlage rechtfertigen. Es ist bedauerlich, dass auch klare Verletzungen der gesetzlichen Vorlegungspflicht durch das Prozessrecht nicht wirksam sanktioniert werden (vgl. Zöller/Greger, ZPO 34. Aufl. 2022, § 348 Rn 20 ff.). Es wäre jedenfalls zu wünschen, dass das Bedürfnis nach einer...