BGB §§ 823 Abs. 1 und 2; 242; StVG §§ 7, 17; StVO §§ 4, 29
Leitsatz
Fahren Motorradfahrer in versetzter Formation im Pulk und ist vereinbarungsgemäß die Überschreitung der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit der Teilnehmer vorgesehen, ist bei einem Sturz eines Motorradfahrers im Pulk wegen eines unerwarteten Abbremsens eines vorausfahrenden Motorradfahrers eine Haftung des Vorausfahrenden jedenfalls nach Treu und Glauben ausgeschlossen.
(Leitsatz der Schriftleitung)
Brandenburgisches OLG, Urt. v. 28.6.2007 – 12 U 2009/06
Sachverhalt
Der Kläger und der Beklagte zu 1) bildeten mit zwei weiteren Motorradfahrern einen Pulk, der auf einer Bundesstraße gegebenenfalls unter erheblicher Überschreitung der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit fuhr. Der an letzter Stelle des Pulks fahrende Kläger kam mit seinem Motorrad nach rechts von der Fahrbahn bei dem Versuch ab, dem von dem Beklagten zu 1) stark abgebremsten Motorrad auszuweichen.
Der Senat verneinte eine Haftung des Beklagten zu 1).
Aus den Gründen
“Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagten auf Grund des Verkehrsunfalls vom 15.8.2004 keine anteiligen Schadensersatzansprüche.
Bei Zugrundelegung des klägerischen Vortrags, wonach der Beklagte zu 1) wegen eines Geschwindigkeitsmessgerätes plötzlich abrupt bremste, kommt allerdings grundsätzlich eine Mithaftung der Beklagten aus §§ 7 Abs. 1, 17, 18 Abs. 1 S. 1 StVG, §§ 253 Abs. 2, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 2 StVO, § 3 Nr. 1 PflVG in Betracht.
Zunächst ist das LG zutreffend von einer Haftung des Klägers gem. § 4 Abs. 1 S. 1 StVO ausgegangen. Nach dieser Vorschrift muss der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm angehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Wer auf den Vorausfahrenden auffährt, war in der Regel unaufmerksam oder zu dicht hinter ihm; dafür spricht der Anschein auch dann, wenn der Vorausfahrende bremsen musste. Der Anscheinsbeweis erstreckt sich aber nicht auf eine etwaige Schuldverteilung, insbesondere nicht auf eine Alleinschuld des Auffahrenden (OLG Naumbzrg NZV 1995, 73; OLG Karlsruher VRS 1977, 100; KG VM 1983,13; OLG Köln VersR 1976, 670). Der Anscheinsbeweis wird erschüttert durch die vom Auffahrenden zu beweisende Möglichkeit eines atypischen Verlaufs (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 4 StVO Rn 17, 18). Dafür reicht es allerdings nicht aus, ein Abbremsen des Vorausfahrenden nachzuweisen, weil der Hintermann auch im Fall einer scharfen Bremsung grundsätzlich in der Lage sein muss, rechtzeitig anzuhalten (OLG Düsseldorf VersR 1976, 545). Der Vortrag des Klägers, er habe den erforderlichen Sicherheitsabstand (nur) auf Grund der Bremsung des Beklagten zu 1) nicht wahren können, kann den gegen ihn sprechenden Anschein demnach nicht entkräften.
Ein Alleinverschulden des Klägers könnte dann nicht angenommen werden, wenn der Beklagte zu 1) seinerseits gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO verstoßen hätte, weil er ohne zwingenden Grund stark bremste. In diesem Fall wäre die von seinem Fahrzeug ausgehende erhöhte Betriebsgefahr im Rahmen einer Haftungsabwägung nach § 17 StVG zu berücksichtigen. Bei einem Auffahrunfall trifft den Auffahrenden die Beweislast, dass der Vordermann grundlos gebremst hat (Schurig, StVO, 10. Aufl., § 4 Anm. 2.2). Ein zwingender Grund liegt nur bei plötzlicher Gefahr vor, wenn also andernfalls andere oder der Bremsende selbst gefährdet oder geschädigt werden könnten (Hentschel, a.a.O., § 4 StVO Rn 11). Während der Anblick eines Geschwindigkeitsmessgerätes demnach keinen zwingenden Grund zum Bremsen liefert, könnte ein auf die Fahrbahn laufender Fuchs jedenfalls für einen Motorradfahrer eine plötzliche Gefahr darstellen, die zur Vermeidung eines Sturzes zum starken Abbremsen berechtigt.
Der Grund für das Bremsen des Beklagten zu 1) braucht jedoch nicht geklärt zu werden. Der Umstand, dass der Kläger und der Beklagte zu 1) Teil eines Motorradpulks waren, führt nämlich unter den Umständen des Streitfalls zur Annahme eines wechselseitigen Haftungsverzichts für die geltend gemachten Schäden.
Wie auch der Kläger nunmehr nicht in Abrede stellt, gehörte zu der verabredeten Fahrt auch die erhebliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Dass die Einhaltung der Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung für die Teilnehmer der Fahrt nicht im Vordergrund stand, ergibt sich auch aus der unstreitigen Tatsache, dass sowohl der Kläger als auch der Beklagte zu 1) kurz vor dem Unfall verbotswidrig unter Missachtung von Zeichen 295 zu § 41 Abs. 3 Nr. 3 StVO einen Pkw überholt hatten. Dass die Fahrt den Charakter eines Rennens i.S.v. § 29 Abs. 1 StVO gehabt hätte, kann zwar nicht festgestellt werden, denn das würde voraussetzen, dass es nach den verabredeten Regeln um eine Siegerermittlung ging (Hentschel, a.a.O., § 29 StVO Rn 2); wofür Anhaltspunkte weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind. Beide Parteien stellen jedoch nicht in Abrede, dass es während der Fahrt vereinbarungsgemäß zu signifikanten Geschwind...