Richtlinie (RL) 91/439/EWG Art. 7 Abs. 1 Buchst. b, Art. 8 Abs. 2 und Abs. 4, Art. 9 Abs. 1, Richtlinie (RL) 2006/126/EG, Art. 11 Abs. 4, Art. 13, Art. 18 Abs. 2
Leitsatz
Den deutschen Führerscheinbehörden ist auf Grund europarechtlicher Vorgaben verwehrt, einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein, in dem ein Wohnsitz im Ausstellermitgliedstaat eingetragen ist, die Gültigkeit im Bundesgebiet mit der Begründung zu versagen, es handele sich nach inländischen Erkenntnissen um einen Scheinwohnsitz, den der Betroffene nur begründet habe, um sich einer nach inländischem Recht als Voraussetzung der Neuerteilung der Fahrerlaubnis vorgesehenen Eignungsprüfung zu entziehen.
OVG des Saarlandes, Beschl. v. 23.1.2009 – 1 B 438/08
Sachverhalt
Nach im September 2006 erfolgter Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit im Straßenverkehr bei einem Blutalkoholgehalt von 2,04 ‰ hat der Antragsteller nach Ablauf der 4-monatigen Sperrfrist am 15.1.2007 in einem Informationsgespräch vom Antragsgegner die Auskunft erhalten, die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis setze nach der Gesetzeslage die Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Eignungsgutachtens voraus. Hieraufhin hat der Antragsteller, der seinen ständigen Wohnsitz nach Erkenntnissen des Antragsgegners seit 1984 durchgehend in der saarländischen Gemeinde O. hat, von der Beantragung einer neuen Fahrerlaubnis im Inland abgesehen und am 14.1.2008 in der Tschechischen Republik eine Fahrerlaubnis der Klasse B erworben, in der als Wohnsitz die tschechische Ortschaft S. eingetragen ist. Durch Verfügung vom 28.7.2008 hat der Antragsgegner dem Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung das Recht aberkannt, von der tschechischen Fahrerlaubnis im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen. Das VG hat das einstweilige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers zurückgewiesen. Die Beschwerde hat Erfolg.
Aus den Gründen
Aus den Gründen: „ … Der Europäische Gerichtshof hat in seinen Urteilen vom 26.6.2008 [zfs 2008, 362, 473] zu der in derartigen Fallgestaltungen aufgeworfenen Missbrauchsproblematik nicht umfassend Stellung bezogen. Insbesondere hat er die Frage, ob es dem Aufnahmemitgliedstaat nach den maßgeblichen europarechtlichen Vorschriften ausnahmsweise erlaubt ist, einer in einem anderen EG-Mitgliedstaat erworbenen Fahrerlaubnis die Anerkennung für sein Hoheitsgebiet zu versagen, wenn dem Fahrerlaubnisinhaber zuvor in seinem Hoheitsgebiet die Fahrerlaubnis entzogen worden ist, ihm nach inländischem Recht wegen fortbestehender Eignungszweifel eine neue Fahrerlaubnis derzeit nicht ausgestellt werden könnte und nach innerstaatlichen Erkenntnissen gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der in dem Ausstellermitgliedstaat begründete Wohnsitz nicht wegen persönlicher oder beruflicher Bindungen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 RL, sondern allein zum Zweck der Erlangung der Fahrerlaubnis – also aus rechtsmissbräuchlichen Erwägungen – genommen wurde, jedenfalls nicht mit der gebotenen Deutlichkeit und damit nicht abschließend beantwortet. Dennoch ist nach Einschätzung des Senats die Wahrscheinlichkeit, dass der EuGH bei entsprechender Gelegenheit zu der im Zusammenhang mit der Eignungsfrage aufgeworfenen Missbrauchsproblematik dezidiert Stellung beziehen und in offensichtlichen Missbrauchsfällen ein Recht zur Verweigerung der Anerkennung bejahen wird, zwischenzeitlich als sehr gering einzustufen. Mit Blick auf die Rechtsausführungen des Gerichtshofs zu der Gesamtproblematik der Anerkennung von EU-Fahrerlaubnissen in den zahlreichen in den letzten Jahren ergangenen Entscheidungen – insbesondere auch in dem Beschl. v. 3.7.2008 (EuGH, Beschl. v. 3.7.2008 – C-225/07 – [Möginger], NJW 2009, 207 ff.) und in dem vor kurzem ergangenen Urt. v. 20.11.2008 (EuGH, Urt. v. 20.11.2008 – C-1/07 – [Weber], NJW 2008, 3767 ff.) – zeichnet sich unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden Fallgestaltungen keine Tendenz des Gerichtshofs ab, bezüglich der Verpflichtung zur Anerkennung zwischen Fahrerlaubnissen, die nach ordnungsgemäßer Begründung eines Wohnsitzes gem. Art. 7 Abs. 1b, 9 Abs. 1 RL in dem Ausstellermitgliedstaat erworben wurden, und Fahrerlaubnissen zu differenzieren, die von dem Mitgliedstaat nach Begründung eines Scheinwohnsitzes ausgestellt wurden.
Den Urteilen des EuGH vom 26.6.2008 lagen Fallgestaltungen zugrunde, in denen eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach vorausgegangener Fahruntüchtigkeit wegen Alkohol- bzw. Rauschgiftkonsums nach innerstaatlichem Recht nicht ohne Nachweis der Überwindung der Suchtproblematik möglich gewesen wäre. Der Gerichtshof sollte u.a. darüber befinden, ob die Vorschriften der Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1a und b sowie 8 Abs. 2 und 4 RL 91/439 EWG es dem Aufnahmemitgliedstaat verwehren, eine zwar außerhalb der Sperrzeit, aber unter Missachtung des Wohnsitzerfordernisses oder der Eignungsvoraussetzungen, die der Aufnahmemitgliedstaat insoweit zur Gewährleistung der Sicherheit des Straßenverkehrs vorsieht, anzuerkennen. Bekanntermaßen beantwo...