EG Art. 10, 249 Abs. 3; Richtlinie 1999/44/EG Art. 3; BGB §§ 234 bis 348, 439 Abs. 4, 476 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1) Der von der Rspr. des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft geprägte Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlangt von den nationalen Gerichten über eine Gesetzesauslegung im engeren Sinne hinaus auch, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richtlinienkonform fortzubilden.
2) Eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus; eine solche planwidrige Unvollständigkeit kann sich daraus ergeben, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausdrücklich seine Absicht bekundet hat, eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen, die Annahme des Gesetzgebers, die Regelung sei richtlinienkonform aber fehlerhaft ist.
3) § 439 Abs. 4 BGB ist unter Beachtung des Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft vom 17.4.2008 (Rs. C-404/06, NJW 2008, 1433 – Quelle AG/Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände) im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung in Fällen des Verbrauchsgüterkaufs (§ 476 Abs. 1 S. 1 BGB) einschränkend anzuwenden. Die in § 439 Abs. 4 BGB in Bezug genommenen Vorschriften über den Rücktritt (§§ 346 bis 348 BGB) gelten in diesen Fällen nur für die Rückgewähr der mangelhaften Sache selbst, führen hingegen nicht zu einem Anspruch des Verkäufers gegen den Käufer auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen oder auf Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache.
BGH, Urt. v. 26.11.2008 – VIII ZR 200/05
Sachverhalt
Der Kläger ist ein Verbraucherverband, der in die gem. § 4 des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) beim Bundesverwaltungsamt geführte Liste qualifizierter Einrichtungen eingetragen ist. Die Beklagte betreibt ein Versandhandelsunternehmen.
Im Sommer 2002 bestellte die Käuferin B. für ihren privaten Gebrauch bei der Beklagten ein sog. "Herd-Set" zum Preis von 524,90 EUR. Die Ware wurde im August 2002 geliefert. Im Januar 2004 stellte die Käuferin fest, dass sich an der Innenseite des zu dem "Herd-Set" gehörenden Backofens die Emailleschicht abgelöst hatte. Da eine Reparatur des Gerätes nicht möglich war, tauschte die Beklagte den Backofen vereinbarungsgemäß noch im Januar 2004 aus. Das ursprünglich gelieferte Gerät gab die Käuferin an die Beklagte zurück. Für dessen Nutzung verlangte die Beklagte eine Vergütung, die die Käuferin an die Beklagte zahlte.
Gestützt auf eine entsprechende Ermächtigung durch die Käuferin verlangt der Kläger Rückzahlung der Vergütung in Höhe von 67,86 EUR nebst Zinsen. Daneben hat er, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, Verbrauchern im Falle der Ersatzlieferung Beträge für die Nutzung der mangelhaften Ware in Rechnung zu stellen.
Das LG (LG Nürnberg-Fürth NJW 2005, 2558) hat dem Zahlungsantrag stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das OLG (OLG Nürnberg NJW 2005, 3000) hat die Berufung der Beklagten und hinsichtlich des vorbezeichneten Unterlassungsantrags auch die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision für beide Parteien zugelassen. Die Beklagte erstrebt mit ihrer Revision die Abweisung der Zahlungsklage. Der Kläger verfolgt mit seiner Revision den Unterlassungsanspruch weiter.
Der Senat hat das Verfahren durch Beschl. v. 16.8.2006 (NJW 2006, 3200) ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gem. Art. 234 EG um eine Vorabentscheidung ersucht. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat hierüber durch Urt. v. 17.4.2008 (Rs. C-404/06, NJW 2008, 1433 – Quelle AG/Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände) entschieden.
Aus den Gründen
Aus den Gründen: [6] „Die Revision der Beklagten ist unbegründet, die des Klägers ist begründet.
[7] A. Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
[8] Die Zahlung einer Nutzungsentschädigung sei ohne Rechtsgrund erfolgt und könne daher nach § 812 Abs. 1 BGB zurückgefordert werden. Aus der Verweisung des § 439 Abs. 4 BGB auf § 346 Abs. 1 BGB könne die Beklagte keinen Anspruch auf Nutzungsentschädigung herleiten. Die Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB enthalte keine Rechtsfolgenverweisung auf § 346 Abs. 1 Alt. 2 BGB (Herausgabe von tatsächlich gezogenen Nutzungen). Die Begründung des Gesetzgebers für eine Verpflichtung des Käufers, im Falle der Ersatzlieferung eine Nutzungsentschädigung zu zahlen, überzeuge nicht. Es sei nicht gerechtfertigt, im Falle einer Ersatzlieferung alle aus dem Rücktritt resultierenden Rechtsfolgen anzuwenden. Zwar habe der Käufer bei der Ersatzlieferung dadurch einen Vorteil, dass er an Stelle der ursprünglichen Sache nun eine neue ungebrauchte Sache mit einer neuen Gewährleistungsfrist erhalte und grundsätzlich mit einer längeren Lebensdauer der Ware rechnen könne. Dem Verkäufer bleibe als Nachteil eine unverkäufliche, weil mangelbehaftete Sache; alle...