VVG § 19 § 5; BGB § 123 Abs. 2
Leitsatz
1. Bei dem von einem Makler des VN ausgearbeiteten und selbst beantworteten Fragenkatalog nach Gefahrumständen handelt es sich grundsätzlich nicht um Fragen des Versicherers i.S.d. § 19 Abs. 1 VVG.
2. Eine Belehrung nach § 19 Abs. 5 VVG darf nicht in umfangreichen AVB enthalten sein.
3. Teilt der Mitversicherer dem VN mit, dass einer der Mitversicherer nunmehr der führende Versicherer ist und bittet um Überlassung des künftigen Besichtigungsberichts des Führenden, so liegt darin die Erteilung einer Außenvollmacht mit der Folge, dass sich der Mitversicherer die Kenntnis des führenden Versicherers von Gefahrumständen entsprechend § 166 BGB zurechnen lassen muss.
4. Der Versicherungsmakler, der den VN so umfassend vertritt, dass der VN selbst überhaupt nicht, auch nicht bei Unterzeichnung des Vertrages in Erscheinung tritt, ist kein Dritter i.S.d. § 123 Abs. 2 BGB.
5. Die von einem der Mitversicherer mit dem VN vereinbarten Risikoausschlüsse entfallen dann, wenn der vom führenden Versicherer für alle Mitversicherer unterzeichnete Versicherungsschein diese Risikoausschlüsse nicht mehr enthält.
OLG Hamm, Urt. v. 3.11.2010 – I-20 U 38/10
Sachverhalt
Die Parteien streiten über den Bestand eines Versicherungsvertrages und die Regulierung eines Brandschadens in der Betriebsstätte der Kl.
Am 29.1.2009 unterzeichnete die als Maklerin tätige S der Kl. S mit der R als führendem Versicherer eine Sach- und Betriebsunterbrechungsversicherung. Durch ein übergreifendes Feuer in dem benachbarten Werk der Fa. W kam es zu einem Schaden von 80 Mio. EUR. Die Bekl. focht den Versicherungsvertrag an und trat von ihm zurück, weil ihr Gefahrumstände verschwiegen worden seien.
2 Aus den Gründen:
" … I. Der Rücktritt der Bekl. ist unwirksam.
Nach § 19 Abs. 2 VVG kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten, wenn der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 1 VVG verletzt. Nach § 19 Abs. 1 S. 1 VVG hat der Versicherungsnehmer die ihm bekannten erheblichen Gefahrumstände, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen …
[Gefahrerheblichkeit von Umständen]
1. Zwar scheitert die Wirksamkeit des Rücktritts der Bekl. nicht an einem Fehlen gefahrerheblicher Umstände. Denn das Vorhandensein von Nachbarbetrieben ist ein erheblicher Gefahrumstand nach § 19 Abs. 1 S. 1 VVG. Für die Übernahme der Gefahr ist jeder Umstand erheblich, der geeignet ist, auf den Entschluss des Versicherers, einen Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen abzuschließen, Einfluss auszuüben. Der Streit um die Maßgeblichkeit eines objektiven … oder eines subjektiven Maßstabs bedarf hier jedoch keiner Entscheidung. Denn die Gefahrerheblichkeit liegt hier auf der Hand. Ein Versicherer hat ein Interesse daran zu erfahren, ob es Nachbarbetriebe gibt, die eine Gefahr für das zu versichernde Objekt bedeuten könnten. Erfahrungsgemäß ist davon auszugehen, dass die Nachbarschaft zu einem Chemiebetrieb für die Risikobewertung im Rahmen einer Industriefeuerversicherung von Bedeutung ist.
[Fragen des Versicherungsmaklers]
2. Der Rücktritt ist jedoch deshalb unwirksam, weil die Bekl. nicht nach Gefahrumständen in Textform gefragt hat. Da die Bekl. der Kl. keine eigenen Fragen gestellt hat, läge ein Stellen von Fragen i.S.d. § 19 Abs. 1 S. 1 VVG nur dann vor, wenn die Fragen in dem von S erstellten Fragebogen so hätten behandelt werden können, als seien sie von der Bekl. gestellt worden. Dies ist indes nicht der Fall. Hinsichtlich der Nachbarbetriebe enthält Ziff. 6 des Besichtigungsberichtes vom 18.11.2008 die Frage: “Betriebe/Läger in der Nachbarschaft?’; diese Frage ist durch Ankreuzen des entsprechenden Kästchens mit “nein’ beantwortet worden, was angesichts des vorhandenen Nachbarbetriebes der Fa. W falsch war.
a) Diese Frage der S, die diese selbst beantwortet hat, kann jedoch nicht als Frage der Bekl. an die Kl. gelten, sodass eine Frage des Versicherers im Sinne des § 19 Abs. 1 S. 1 VVG zu verneinen ist …
Der Sinn des Gesetzes geht dahin, dem Versicherungsnehmer das Risiko einer Fehleinschätzung hinsichtlich der Gefahrrelevanz abzunehmen … Unter diesem Gesichtspunkt kann es nicht von vornherein schädlich sein, dass der Versicherer einen nicht von ihm selbst erstellten Fragebogen verwendet. Es führt nicht allein deshalb zur Unwirksamkeit eines auf § 19 VVG gestützten Rücktritts, dass der Versicherer das Stellen von Fragen einem Vertreter überlassen hat. Ebenso wenig liegt allein deshalb eine Unwirksamkeit des Rücktritts vor, weil der Versicherungsnehmer einem Vertreter die Beantwortung der Fragen überlassen hat.
Allerdings scheidet unter den hier gegebenen Umständen aus, die Fragen der S in ihrem Besichtigungsbericht als seitens der Bekl. gestellte Fragen zu bewerten.
Die S war mit der Kl. durch einen Maklervertrag verbunden, der neben der Vermittlung und Verwaltung von Versicherungsverträgen die Wahrnehmung der Interessen der Kl. gegenüber den Versicherern zum Inhalt hatte. Die S hat im Dezember 2008 die gesamten Vertragsverhandlungen f...