"Dem Kl. steht gegen die Bekl. ein Anspruch auf Zahlung von Krankentagegeld für den Zeitraum v. 14.5.2008 bis zum 14.11.2008 in unstreitiger Höhe von 20.976,– EUR zu, weil er in dieser Zeit arbeitsunfähig war (§ 1 MB/KT 94)."

(1.) Eine Leistungsfreiheit der Bekl. wegen einer Obliegenheitsverletzung des Kl. nach den §§ 9 Nr. 3, 10 Nr. 1 MB/KT 94, § 6 Abs. 3 VVG a.F. besteht nicht.

Den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung muss der VR beweisen. Gelingt ihm dies, wird Vorsatz nach § 6 Abs. 3 S. 1 VVG a.F. gesetzlich vermutet. Diese Vermutung muss der VN entkräften.

(a) Der Kl. hat eine Obliegenheitsverletzung dadurch begangen, dass er den von der Bekl. gewünschten Untersuchungstermin am 14.5.2008 bei Dr. Z nicht wahrgenommen hat.

Grds. ist der VR in der Wahl des untersuchenden Arztes frei (OLG Brandenburg, Urt. v. 12.3.2008 – 4 U 168/06; OLG Bremen VersR 2003, 1429 zur Berufsunfähigkeitszusatzversicherung). “Ablehnungsgründe' gegenüber dem vom VR beauftragten Arzt können deshalb allenfalls in konkreten Ausnahmefällen besonderer Unzumutbarkeit, etwa aufgrund des Verhaltens des Arztes bei früheren Untersuchungen, gegeben sein, müssen aber ein ganz erhebliches Gewicht haben (OLG Köln zfs 2000, 353). Anhaltspunkte dafür hat der Kl. nicht vorgetragen. Seine Befürchtung, der beauftragte Arzt Dr. Z sei nicht objektiv, ist ohne Bedeutung, weil das Untersuchungsergebnis lediglich der Information der Bekl. dient, für den Kl. dagegen in keiner Weise bindend ist.

Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil die Bekl. von ihrem Untersuchungsrecht zu extensiv oder in einer schikanösen Art und Weise Gebrauch gemacht hätte. Aufforderungen zur Nachuntersuchung in Monatsintervallen werden grds. für zulässig gehalten (OLG Köln zfs 2000, 353 … ).

(b) Der Kl. hat jedoch bewiesen, dass diese Obliegenheitsverletzung nicht vorsätzlich und nicht grob fahrlässig nach § 6 Abs. 3 VVG a.F. geschehen ist. Es steht fest, dass der Kl. auf anwaltlichen Rat gehandelt hat. Dies begründet einen Rechtsirrtum, der Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ausschließt.

(aa) Die falsche Bewertung der Rechtslage durch den vom Kl. früher beauftragten Rechtsanwalt kann dem Kl. nicht zugerechnet werden.

Insb. war der beauftragte Rechtsanwalt E nicht Repräsentant für die Erfüllung versicherungsrechtlicher Obliegenheiten. Der frühere Rechtsanwalt des Kl. ist in diesem Bereich nicht aufgrund eines Vertretungsverhältnisses oder eines ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des Kl. getreten. Vielmehr hat sich der Kl. beraten lassen, ohne sich vollständig aus seiner Vertragsstellung zurückzuziehen. Dazu genügt nicht, dass sich ein VN anwaltlicher Hilfe bedient, auch wenn dieser die Korrespondenz führt. Eine Verdrängung des VN durch den Anwalt erfolgt dadurch nicht. Deshalb wird ein beauftragter Anwalt auch grds. nicht als Repräsentant des VN angesehen (BGH VersR 1981, 321 … ).

Auch eine Zurechnung nach § 278 BGB kommt nicht in Betracht, weil es nicht um die Erfüllung von Verbindlichkeiten geht. Für versicherungsrechtliche Obliegenheiten gilt diese Bestimmung nicht (BGH VersR 1981, 321; Senat zfs 2002, 587).

Auch eine Zurechnung über § 166 Abs. 1 BGB kommt nicht in Betracht, weil der vom Kl. früher beauftragte Rechtsanwalt nicht als Wissenserklärungsvertreter des Kl. aufgetreten ist, sondern der Kl. nach anwaltlicher Beratung selbst entschieden hat, den Nachuntersuchungstermin nicht wahrzunehmen. Um die Abgabe einer Wissenserklärung ging es dabei nicht.

(bb) Es kommt deshalb auf die Schuld des Kl. selbst an.

Ein Irrtum über zweifelhafte Rechtsfragen schließt Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit aus, wenn sich der VN seinen Verhältnissen entsprechend um eine Klarstellung bemüht hat (OLG Saarbrücken VersR 1976, 157). Dazu muss er sich in Zweifelsfällen an den VR wenden oder Rechtsrat einholen.

Wendet sich der VN an einen Rechtsanwalt und holt Rat ein, kann er sich grds. auf dessen Richtigkeit verlassen. Dies gilt sogar dann, wenn der Wortlaut der dem VN bekannten Versicherungsbedingungen eindeutig erscheinen mag (BGH VersR 1981, 321). Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Vorschriften bzw. Regelungen eine von ihrem Wortlaut scheinbar abweichende Bedeutung für die Entscheidung des Einzelfalles beigemessen wird. Dies gilt vor allem bei Vertragsbedingungen größeren Umfangs, bei denen es nicht nur auf eine einzelne Bedingung ankommen muss, die für sich allein klar erscheinen mag, sondern auch darauf, diese aus dem umfangreichen Bedingungswerk herauszufinden und im Verhältnis zu den anderen Bedingungen und den gesetzlichen Bestimmungen richtig einzuordnen (BGH VersR 1981, 321).

Dem steht nicht entgegen, dass Rechtsauskünfte auch der VR erteilen könnte. Der VN ist nicht verpflichtet, sich gerade an den VR zu wenden, weil dieser im Streit über versicherungsrechtliche Fragen der Gegner des VN ist (BGH VersR 1981, 321).

In der Regel hat deshalb ein Rechtsuchender weder Anlass noch die Möglichkeit, anwaltliche Auskünfte auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (BGH VersR 1981, 321; VersR 1966, 152...

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