OWiG § 72 Abs. 1
Leitsatz
Ein bereits vor dem Hinweis nach § 72 Abs. 1 OWiG ausdrücklich oder schlüssig erklärter Widerspruch gegen eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung wird nicht dadurch gegenstandslos, dass der Betr. auf den späteren Hinweis schweigt oder die ausdrückliche Anfrage des Richters, ob dem schriftlichen Verfahren widersprochen werde, unbeantwortet lässt. In einem solchen Fall liegen die Voraussetzungen für eine Entscheidung im Beschlussverfahren nicht vor.
(Leitsätze des Einsenders)
OLG Hamm, Beschl. v. 27.10.2011 – III-1 RBs 177/11
Sachverhalt
Das AG hat gegen den Betr. durch Beschl. im schriftlichen Verfahren nach § 72 OWiG wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 90 EUR festgesetzt.
Die dagegen vom Betr. eingelegte Rechtsbeschwerde hat dessen Verteidiger begründet mit der Verletzung formellen Rechts, da eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör des Betr. vorliege. Hierzu hat der Verteidiger u.a. ausgeführt:
"Mit Schreiben der Bevollmächtigten des Betr. v. 3.5.2011 legte der Betr. Einspruch gegen den Bußgeldbescheid v. 20.4.2011 ein, widersprach zugleich einer Entscheidung im Beschlussverfahren. Der Einspruch ging unter dem 4.5.2011 bei der Ordnungswidrigkeitenbehörde ein."
Der Vorgang wurde dann von der Ordnungswidrigkeitenbehörde an das zuständige AG abgegeben. Mit Verfügung des AG v. 29.6.2011 verwies das AG zunächst darauf, dass rechtzeitig Einspruch eingelegt wurde, so dass an sich eine Hauptverhandlung anzuberaumen wäre, zu der der Betr. erscheinen müsse. Der Einspruch sei bisher nicht begründet worden. Das AG teilte mit, dass es beabsichtige, über den Einspruch ohne Hauptverhandlung durch Beschl. gem. § 72 Abs. 1 OWiG zu entscheiden, falls der Betr. einem solchen Verfahren nicht widerspricht. Die Staatsanwaltschaft habe einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren bereits zugestimmt.
Des Weiteren wies das AG darauf hin, dass der Betr. gegen die beabsichtigte Verfahrensweise, einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren, gem. § 72 OWiG widersprechen kann, dieser Widerspruch innerhalb einer 2-wöchigen Frist nach Zustellung des Beschl. v. 29.6.2011 bei Gericht eingegangen sein muss. Die Zustellung der Verfügung erfolgte unter dem 1.7.2011 an die Kanzlei der Bevollmächtigten des Betr. Der Betr. wurde ferner darauf hingewiesen, dass falls er nicht rechtzeitig Widerspruch erhebe, die im schriftlichen Verfahren ergehende Entscheidung in der Regel unanfechtbar sei, wenn eine Geldbuße von nicht mehr als 250 EUR festgesetzt werde. Darüber hinaus teilte das Gericht mit, dass es beabsichtige in dem Beschl. auf den Bußgeldbescheid Bezug zu nehmen und von einer weiteren Begründung abzusehen. Auch hierzu erhielt der Betr. Gelegenheit sich binnen einer Frist von 2 Wochen nach Zustellung zu äußern, eine unterbliebene Äußerung würde als Verzicht auf eine Begründung des Beschl. gewertet.
Mit Beschl. des AG v. 21.7.2011 setzte das Gericht im schriftlichen Verfahren gem. § 72 OWiG wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße in Höhe von 90 EUR gegen den Betr. fest, erlegte diesem die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen auf. Von einer Begründung des Beschl. wurde gem. § 72 Abs. 6 OWiG abgesehen.“
Das OLG hebt den Beschl. des AG mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG zurück.
2 Aus den Gründen:
"… . II. … . Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu wie folgt Stellung genommen:"
“Die Rechtsbeschwerde, mit der der Betr. mit einer den Anforderungen der §§ 344, 345 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG genügenden Begründung unter anderem rügt, das AG habe unzulässigerweise durch Beschl. gem. § 72 OWiG entschieden, ist gem. § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 OWiG zulässig und auch begründet.
Das AG hat durch Beschl. nach § 72 OWiG entschieden, obwohl der Betr. diesem (schriftlichen) Verfahren rechtzeitig mit der Einlegung des Einspruchs widersprochen hatte. Ein bereits vor dem Hinweis nach § 72 Abs. 1 OWiG ausdrücklich oder schlüssig erklärter Widerspruch gegen eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung wird nicht dadurch gegenstandslos, dass der Betr. auf den späteren Hinweis schweigt oder die ausdrückliche Anfrage des Richters, ob dem schriftlichen Verfahren widersprochen werde, unbeantwortet lässt (vgl. OLG Schleswig, Beschl. v. 9.2.2004 – 1 Ss OWi 26/04 (18-04) [= StraFo 2004, 390]; Thüringer OLG, Beschl. v. 18.5.2005 – 1 Ss 905/05, jeweils m.w.N.). Mithin lagen die Voraussetzungen nach § 72 OWiG nicht vor, so dass eine Entscheidung im Beschlussverfahren nicht hätte ergehen dürfen. Wegen dieses aufgezeigten Rechtsfehlers ist der angefochtene Beschl. gem. §§ 79 Abs. 3 OWiG, 353 Abs. 1 und 2 StPO aufzuheben und die Sache zu neuer Prüfung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das AG zurückzuweisen.'
Diesen zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an, so dass wie erkannt zu entscheiden war. … .“
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