VVG § 28 § 47 § 81
Leitsatz
1. Die Kraftfahrtversicherung ist eine in einem Versicherungsschein zusammengefasste Mehrzahl selbstständiger Versicherungsverträge, weshalb Gefahrerhöhungen, Anzeigepflicht- und Obliegenheitsverletzungen für die jeweilige Sparte getrennt zu prüfen sind.
2. Steht ein Kraftfahrzeug im Miteigentum des VN und eines Dritten, hinsichtlich dessen ein Tatbestand erfüllt ist, der zur Leistungsfreiheit des VR führt, so bleibt der VR in Höhe des Miteigentumsanteils des VN leistungspflichtig.
OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.1.2013 – 12 U 117/12
Sachverhalt
Die Kl. unterhält bei der Bekl. eine Kfz-Haftpflicht- und Vollkaskoversicherung. Dem Versicherungsverhältnis liegen die AKB mit Stand v. 1.7.2009 zugrunde. Der Ehemann der Kl. verursachte am 24.10.2010 in alkoholbedingt absolut fahruntüchtigem Zustand mit dem versicherten Fahrzeug einen Unfall, bei dem er und sein Beifahrer verletzt wurden und an dem Fahrzeug Totalschaden entstand.
Mit E-Mail v. 24.10.2010 zeigte die Kl. das Unfallereignis bei der Bekl. an. Die in dem von der Bekl. übersandten Fragebogen enthaltenen Fragen nach der Person des Fahrzeugführers sowie dessen Alkoholkonsum 24 Stunden vor dem Unfall beantwortete die Kl. am 2.11.2010 mit Nichtwissen. Die Haftpflichtabteilung der Bekl. wies mit Schreiben v. 16.2.2011 die Kl. auf ihre Aufklärungsobliegenheit hin und forderte sie zu ergänzenden Informationen auf.
Nach vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis des Ehemanns, der beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen war, gab die Kl. mit Schriftsatz v. 2.3.2011 wahrheitswidrig über ihren Prozessbevollmächtigten im Ermittlungsverfahren die Erklärung ab, selbst Fahrerin des Unfallfahrzeugs gewesen zu sein und in einer Schockreaktion den Unfallort verlassen zu haben. Der an die Staatsanwaltschaft gerichtete Schriftsatz wurde von dem Prozessbevollmächtigten der Kl. auch der Bekl. unter Bezugnahme auf deren Haftpflichtschadensnummer zugeleitet. Im Ermittlungsverfahren konnte mittels einer DNA-Analyse des Fahrerairbags der Ehemann als Fahrer des Unfallfahrzeugs identifiziert werden. Aus der Regulierung des Haftpflichtschadens des Beifahrers machte die Bekl. Regressansprüche gegen die Kl. und ihren Ehemann geltend.
Mit Schriftsatz v. 5.5.2011 nahm die Kl. die Bekl. aus der Vollkaskoversicherung wegen ihres Fahrzeugschadens i.H.v. 39.895,31 EUR in Anspruch. Mit Schreiben v. 19.5.2011 wurde seitens der Bekl. mitgeteilt, dass man die Sache an die Kaskoabteilung weitergeleitet habe. Diese hat sich auf Leistungsfreiheit wegen arglistiger und vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung der Kl. berufen und eine Regulierung abgelehnt.
2 Aus den Gründen:
“… Der Kl. steht gegen die Bekl. nach § 1 S. 1 VVG i.V.m. A.2.1.1 AKB 2009, § 83 VVG ein Anspruch auf Leistungen aus der Vollkaskoversicherung i.H.v. 19.947,66 EUR zu.
1. Bedingungsgemäßer Versicherungsschutz der Kl. aus dem Kaskoversicherungsvertrag ist nicht wegen – im Haftpflichtverhältnis zweifelsfrei vorliegender – vorsätzlicher Verletzung der Aufklärungsobliegenheit ausgeschlossen, § 28 Abs. 2 S. 1 VVG i.V.m. Ziff. E. 1.3, E.6.1 AKB 2009. Nach Ziff. E.1.3 AKB 2009 ist der VN verpflichtet alles zu tun, was der Aufklärung des Schadensereignisses dienen kann. Sinn der Aufklärungspflicht ist es, den VR in die Lage zu versetzen, sachgemäße Entschließungen über die Behandlung des Versicherungsfalles zu treffen (BGH VersR 2006, 258), aber auch Verdachtsmomenten nachzugehen, die gegen die Berechtigung der geltend gemachten Forderung sprechen könnten (Maier in Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 18. Aufl., 2010, AKB E Rn 21). Hierfür benötigt der VR Auskünfte über den Schadenseintritt, über dessen Verlauf sowie über das Ausmaß des Schadens. Die Aufklärungsobliegenheit gilt für alle Zweige der Kraftfahrtversicherung (Maier in Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 18. Aufl., 2010, AKB 2008 E Rn 21). Eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit in der Kaskoversicherung liegt nicht vor.
a. Eine solche liegt entgegen der Auffassung des LG nicht in den Angaben im Fragebogen v. 2.11.2010. Die Bekl. hat nicht nachgewiesen, dass die Kl. beim Unfall anwesend war. Sie hat auch nicht belegt, dass die Kl. anderweit von der Person des Fahrers bzw. dessen Alkoholisierung Kenntnis erlangt hatte. Sie hat wahrheitsgemäß angegeben, dass der Unfall polizeilich aufgenommen worden war. Mutmaßungen über die Person des Fahrers waren ihr nicht abverlangt. Entgegen der Annahme der Bekl. stellt zudem das von der Bekl. eingeforderte vollständige Ausfüllen des Fragebogens, der auch allein für die Abwicklung des Kaskoschadens erforderliche Daten betrifft (Kontonummer, Vorsteuerabzug), keine Geltendmachung der Kaskoleistung dar.
b. Die Kl. hat ihren Fahrzeugschaden gegenüber der Bekl. als Kaskoversicherer erstmals mit Schriftsatz v. 5.5.2011 geltend gemacht. Eine unzutreffende Darstellung des Unfallherganges oder sonst ein Verhalten, das eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit darstellen könnte, enthält das Anspruchsschreiben nicht und wird seitens der Bekl. auch für die nachfolgende ...