Bis vor einem guten Jahr war die verfahrensgegenständliche Frage dahin geklärt, dass eine Anrechnung der Geschäftsgebühr dann nicht vorzunehmen ist, wenn der Anwalt vorprozessual und im Rechtsstreit gegen verschiedene Anspruchsgegner vorgeht (s. die Rechtsprechungs- und Literaturnachweise in der Anm. zu OLG München zfs 2012, 227, 228). Mit der Entscheidung des 11. ZS des OLG München zfs 2012, 227 m. Anm. Hansens = RVGreport 2012, 150 (Hansens) ist die Diskussion wieder neu aufgeflammt. Das KG hat für seine Auffassung keine eigenen Argumente benannt und hat sich mit einigen entscheidungserheblichen Problemen nicht befasst.

Gem. § 15a Abs. 2 RVG kann sich ein Dritter auf die Anrechnung der Geschäftsgebühr nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat. Das Gesetz geht somit davon aus, dass sich derjenige auf die Anrechnung berufen kann, der auch eine Zahlung auf die Geschäftsgebühr geleistet hat. In dem vom KG entschiedenen Fall hatte sich die Bekl. auf die Anrechnung der Geschäftsgebühr berufen, gezahlt hatte die Geschäftsgebühr jedoch die Kfz-Haftpflichtversicherung. Ich hätte mir einige Worte des KG darüber gewünscht, warum gleichwohl die Vorschrift des § 15a Abs. 2 erster Fall RVG trotz ihres eindeutigen Wortlautes einschlägig sein soll. Ob auch insoweit die eigentlich nur das Innenverhältnis zwischen Versicherung und Versicherungsnehmer geltende Regelung des § 10 Abs. 5 AKB auch im Außenverhältnis zum Geschädigten gilt, hätte jedenfalls einiger Ausführungen bedurft.

Ohne eigene Argumentation ist das KG im Ergebnis davon ausgegangen, dass die Vertretung gegenüber der Kfz-Haftpflichtversicherung einerseits und der Rechtsstreit gegen die Bekl. als Fahrerin des gegnerischen Fahrzeugs andererseits denselben Gegenstand betreffen. Hierunter versteht man das konkrete Recht oder Rechtsverhältnis, auf das sich die anwaltliche Tätigkeit bezieht, siehe etwa BGH RVGreport 2011, 14 (Hansens) und RVGreport 2011, 15 (ders.). Hierbei stellt die Rspr. auf die wirtschaftliche Identität ab, so BGH RVGreport 2007, 220 (ders.) = NJW 2007, 2050. Hier wird wohl eine wirtschaftliche Identität vorliegen, da die Klägerin vorprozessual gegenüber der Haftpflichtversicherung und im Rechtsstreit gegen die Fahrerin des Unfallfahrzeugs dieselben Schadensersatzansprüche geltend gemacht hat. Ob derselbe Gegenstand aber auch dann vorliegt, wenn der wirtschaftlich identische Anspruch vorprozessual gegen einen anderen Gegner geltend gemacht wird als im nachfolgenden Rechtsstreit, ist zumindest diskussionswürdig.

Das einzige selbstständige Argument des KG, der Anwalt solle für die im Wesentlichen gleiche Tätigkeit nicht doppelt vergütet werden, überzeugt nicht. Dies gilt nämlich nur dann, wenn überhaupt die Anrechnungsvoraussetzungen der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG erfüllt sind, mithin die Anwaltstätigkeit denselben Gegenstand betrifft. Das war hier jedoch gerade das Problem. Liegt nicht derselbe Gegenstand vor, kann der Rechtsanwalt die für die vorgerichtliche Vertretung angefallene Geschäftsgebühr neben der im Rechtsstreit entstandenen Verfahrensgebühr ohne Anrechnung berechnen, auch wenn seine Tätigkeit im Wesentlichen gleich war.

Das OLG München (zfs 2012, 227 = RVGreport 2012, 150 (Hansens)) hatte wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage die Rechtsbeschwerde zugelassen, die – soweit ersichtlich – nicht eingelegt wurde. Der Einzelrichter des KG war von seiner Auffassung trotz der ganz überwiegenden Gegenauffassung in Rspr. und Literatur so überzeugt, dass er die Sache noch nicht einmal dem Senat übertragen hat und folglich auch die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat. Eine höchstrichterliche Klärung dieser Rechtsfrage wird also noch auf sich warten lassen. Bis dahin würde ich mich an die noch immer vorherrschende Auffassung in der Rspr. und Literatur halten und eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr in vergleichbaren Fallgestaltungen nicht vornehmen.

VRiLG Heinz Hansens

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