BGB § 249 § 254; ZPO § 287
Leitsatz
Eine Gesundheitsverletzung kann auch durch psychische Einwirkung auf den Betroffenen herbeigeführt werden. Erleidet jemand bei dem miterlebten oder mitgeteilten schweren Unfall eines Angehörigen einen Nervenschock mit medizinisch konstatierbaren Folgewirkungen, die das Maß an normaler Erregung, Bestürzung und Betroffenheit überschreiten, hat die Gesundheitsverletzung echten Krankheitswert und löst Schmerzensgeldansprüche aus.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Frankfurt, Urt. v. 19.7.2012 – 1 U 32/12
Sachverhalt
Der VN der beklagten Haftpflichtversicherung tötete die Tochter der Kl. bei einem groben Verkehrsverstoß als Fahrer seines Pkw in Folge Missachtung eines Überholverbots und wegen überhöhter Geschwindigkeit. Die Kl. nahm die Bekl., die vorgerichtlich einen Schmerzensgeldbetrag von 5.000 EUR gezahlt hatte, auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von 30.000 EUR und auf den Ersatz von Verdienstausfall wegen unfallbedingter Inanspruchnahme der Altersteilzeit mit der Begründung in Anspruch, aufgrund des Unfallereignisses schwer psychisch erkrankt zu sein. Das LG sprach der Kl. nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens ein weiteres Schmerzensgeld von 30.0000 EUR zu. Die Berufung der Bekl. führte zur Reduzierung des Schmerzensgeldes auf 10.000 EUR und zur Billigung des von dem LG zuerkannten Verdienstausfalls.
2 Aus den Gründen:
“… I. Die Kl. hat gegen die Bekl. einen Anspruch auf Schmerzensgeld, dessen Höhe der Senat nach billigem Ermessen auf insgesamt 15.000 EUR festsetzt, so dass unter Berücksichtigung der von der Bekl. geleisteten Zahlung von 5.000 EUR noch weitere 10.000 EUR offen stehen.
1. Nach der st. Rspr. des BGH (BGHZ 56, 163, 164 ff.; VersR 1976, 539 f.; zuletzt bestätigt NJW 2012, 1730, 1731), der der Senat folgt (NJOZ 2009, 4715, 4717 f.), können mittelbar Geschädigte wie etwa die nächsten Angehörigen von Unfallopfern von dem Unfallverursacher bzw. dessen Haftpflichtversicherer nur ausnahmsweise materiellen und immateriellen Schadensersatz beanspruchen, nämlich dann, wenn sie eigene gesundheitliche Beeinträchtigungen mit – auch nach allgemeiner Verkehrsauffassung anzuerkennendem – Krankheitswert erlitten haben, die über die hinausgehen, denen nahe Angehörige bei Todesnachrichten erfahrungsgemäß ausgesetzt sind.
2. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Kl. ist infolge des ihre Tochter betreffenden tödlichen Unfallgeschehens schwerwiegend psychisch erkrankt; sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer schweren depressiven Episode und anhaltenden somatoformen Schmerzstörungen. Dies hat das LG aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens überzeugend und den Senat nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindend festgestellt; die Bekl. hat diese Feststellung mit der Berufung auch nicht angegriffen.
3. Das vom LG zuerkannte Schmerzensgeld von insgesamt 35.000 EUR erscheint dem Senat allerdings übersetzt. Der Verlust eines nahen Angehörigen wie beispielsweise eines Kindes und die darauf beruhenden psychischen wie physischen Schäden können durch eine Geldzahlung schon vom gedanklichen Ansatz her nicht ausgeglichen werden. Der Sinn einer derartigen Zahlung kann im Wesentlichen darin bestehen, dem mittelbar geschädigten Angehörigen eine angenehme Ablenkung zu verschaffen und den Übergang in eine neue Lebensphase zu erleichtern; hierfür ist derzeit eine Zahlung in der Größenordnung von 15.000 EUR erforderlich (vgl. Huber, NZV 2012, 5, 7, 9). Im Streitfall fehlt es an Umständen, die eine Abweichung von diesem Betrag nach oben (nachfolgend a-d) oder nach unten (nachfolgend e) begründen könnten:
a) Der VN der Bekl. mag besonders rücksichtslos gefahren sein, nämlich mit überhöhter Geschwindigkeit und ein Überholverbot missachtend. Für die Beeinträchtigung der Kl. spielt das eine untergeordnete Rolle, denn sie hat den Unfall nicht selbst miterleben müssen, sondern hiervon nur durch Dritte erfahren.
b) Das Regulierungsverhalten der Bekl. ist nicht zu beanstanden. Insb. durfte sie eine schwerwiegende psychische Erkrankung der Kl., die den o.a. strengen Entschädigungskriterien der höchst- und obergerichtlichen Rspr. genügte, bis zur Einholung eines objektiven Sachverständigengutachtens bestreiten, zumal sie schon ein Schmerzensgeld i.H.v. 5.000 EUR gezahlt hatte. Weiter muss insoweit zu ihren Gunsten berücksichtigt werden, dass sie das Sachverständigengutachten nach dessen Ergänzung letztlich akzeptiert und den vorliegenden Prozess in sachlicher, zurückhaltender Weise geführt, während die Kl. selbst teilweise in unnötig scharfem Ton schriftsätzlich vorgetragen und außergerichtlich korrespondiert hat.
c) Die Erwerbsnachteile der Kl. sind durch den ihr zustehenden Anspruch auf materiellen Schadensersatz abgedeckt und deshalb nicht geeignet, eine Erhöhung des Schmerzensgeldes zu begründen.
d) Die soziale Isolierung der Kl. ist gegenüber der depressiven Episode, die das LG festgestellt hat, keine gesondert zu berücksichtigende Einbuße, sondern ein für diese psychische Erkrankung typisches Sympto...