OWiG § 71
Leitsatz
1. Der Tatrichter, der ein anthropologisches Vergleichsgutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, muss auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben.
2. Wird auf das Messfoto nicht Bezug genommen, muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere charakteristische Identifizierungsmerkmale so präzise beschreiben, dass die Prüfung ermöglicht wird, ob dieses zur Identifizierung generell geeignet ist. Umstände, die eine Identifizierung erschweren können, sind dabei ebenfalls zu schildern.
3. Das AG ist dabei im Übrigen nicht gehalten, auch konkrete Angaben zu der Häufigkeit der Merkmale in der Bevölkerung zu machen.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Celle, Beschl. v. 6.11.2012 – 311 SsBs 136/12
Sachverhalt
Das AG hat den Betr. wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 100 EUR verurteilt. Zugleich hat es unter Anwendung von § 25 Abs. 2a StVG ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Von der Täterschaft des Betr. hat sich das AG aufgrund der schlüssigen gutachterlichen Ausführungen eines Sachverständigen für anthropologische Vergleichsgutachten überzeugt. Dieser habe 21 prägnante Gesichtsmerkmale auf dem qualitativ sehr guten Messfoto feststellen können, die sämtlich mit denen des Gesichts des in der Hauptverhandlung anwesenden Betr. übereinstimmten. Hingegen habe der humanbiologische Vergleich des Messfotos mit dem Zwillingsbruder des Betr., der als Zeuge in der Hauptverhandlung anwesend war, insg. sieben Unterschiede in Bezug auf die auf dem Messfoto festgestellten morphologischen Merkmalsprägungen ergeben. In seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betr. die Verletzung materiellen Rechts. Das OLG Celle hat die Sache auf den Senat zur Entscheidung übertragen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
[6]“ … Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet.
7 1. Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft ist die Sachrüge zulässig erhoben worden. Zwar trifft es zu, dass sich weite Teile der Rechtsbeschwerde in unzulässiger Form von den Feststellungen im angefochtenen Urteil entfernen. Die Rechtsbeschwerde rügt aber zusätzlich, dass das angefochtene Urteil den notwendigen Anforderungen an die Darlegung bei der Feststellung der Fahrereigenschaft aufgrund eines morphologischen Vergleichsgutachtens nicht genügt. Zudem ist die Sachrüge in allgemeiner Form erhoben worden, ohne dass sich aus den anschließenden Ausführungen eine Beschränkung auf bestimmte Aspekte erkennen lässt.
[8] 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Sachrüge deckt einen durchgreifenden Rechtsmangel im angefochtenen Urteil auf. Denn die Urteilsgründe werden den sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Darlegung von Gutachten nicht gerecht.
[9] Dass das Gericht dem Sachverständigen folgend zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Zwillingsbruder des Betr. nicht die auf dem Foto der Überwachungskamera abgebildete Person ist, ist zwar rechtlich nicht zu beanstanden. Insoweit reicht bereits ein besonders prägnantes Gesichtsmerkmal, um einen Identitätsausschluss zu erreichen (OLG Hamm, NStZ-RR 2008, 287). Damit steht aber nicht gleichzeitig fest, dass der Betr. das Fahrzeug geführt hat, da dies auch ein Dritter gewesen sein könnte. Feststellungen zu den Eigentumsverhältnissen bzw. dem Halter des gefahrenen Fahrzeugs oder der üblicherweise vom Betr. genutzten Fahrstrecke hat das Gericht nicht getroffen. Seine Überzeugung, dass der Betr. auf dem Lichtbild der Überwachungskamera abgebildet ist, beruht somit allein auf den Ausführungen des Sachverständigen in der Hauptverhandlung, der eine Übereinstimmung von 21 prägnanten Gesichtsmerkmalen erkannt hat.
[10] Nach der Rspr. des BGH muss der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer – wenn auch nur gedrängten – zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH NStZ 2000, 106; so auch OLG Celle, NdsRpfl 2002, 368; ThürOLG, DAR 2006, 523). Hiervon kann lediglich bei sogenannten standardisierten Untersuchungsmethoden abgewichen werden, bei welchen sich die Darstellung im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränken kann. Bei einem anthropologischen Vergleichsgutachten handelt es sich indessen nicht um eine standardisierte Untersuchungsmethode (BGH NStZ 2000, 106; 2005, 458).
[11] Die Darlegung im angefoc...