GG Art. 103 Abs. 2; StVO § 42 Abs. 2 Anl. 3 Zeichen 325.1, § 3
Leitsatz
1. Der Begriff der Schrittgeschwindigkeit genügt ungeachtet der hierzu in der obergerichtlichen Rspr. vertretenen unterschiedlichen Auffassungen grds. dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG.
2. Die derzeit gegebene Uneinheitlichkeit in der obergerichtlichen Rspr., in welcher der Begriff der Schrittgeschwindigkeit teilweise bzw. überwiegend mit max. 7 km/h definiert, teilweise aber auch mit max. 10 km/h angegeben wird, führt unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgebotes bzw. des auch im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Schuldprinzips dazu, dass einem Betr. unabhängig von der konkreten Kenntnis verschiedener gerichtlicher Entscheidungen und unabhängig von der Frage, welche der verschiedenen Auffassungen nach Bewertung des Senats als vorzugswürdig anzusehen wäre, ein Verstoß gegen das Gebot der Schrittgeschwindigkeit allenfalls erst bei Überschreitung des Wertes von 10 km/h zur Last gelegt werden kann, solange keine verbindliche Entscheidung des BGH oder eine entsprechende gesetzliche Klarstellung vorliegt.
OLG Hamm, Beschl. v. 28.11.2019 – 1 RBs 220/19
Sachverhalt
Mit dem angefochtenen Urteil hat das AG Dortmund gegen die Betr. wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h eine Geldbuße i.H.v. 160 EUR verhängt und gleichzeitig ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt. Nach den Feststellungen des Urteils hatte die Betr. eine verkehrsberuhigte Zone (Verkehrszeichen 325.1) mit einer gemessenen Geschwindigkeit von 41 km/h befahren, woraus sich unter Berücksichtigung des Toleranzabzuges von 3 km/h eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 38 km/h ergab. Bei Festsetzung der Rechtsfolge ist das AG davon ausgegangen, dass die Betr. verpflichtet gewesen wäre, "ihre Geschwindigkeit auf max. 7 km/h" zu reduzieren, so dass ihr eine fahrlässige innerörtliche Geschwindigkeitsüberschreitung von 31 km/h anzulasten sei.
Das OLG Hamm hat das angefochtene Urteil dahingehend abgeändert, dass gegen die Betr. unter Wegfall des angeordneten Fahrverbotes wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaft eine Geldbuße i.H.v. 100 EUR festgesetzt wird.
2 Aus den Gründen:
"…"
II. Die vom Einzelrichter gem. § 80a Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 1 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zur Entscheidung übertragene Rechtsbeschwerde hat insoweit Erfolg, als die festgesetzte Geldbuße im Wege einer eigenen Sachentscheidung des Senats gem. § 79 Abs. 6 OWiG auf einen Betrag von 100 EUR unter gleichzeitigem Wegfall des angeordneten Fahrverbots festzusetzen war.
1. Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen die Feststellung des AG richtet, die Betr. habe den verkehrsberuhigten Bereich der innerorts gelegenen Straße “N' in E mit einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von 38 km/h befahren, ist sie offensichtlich unbegründet i.S.d. §§ 349 Abs. 2 StPO, 79 Abs. 3 OWiG.
2. Die im Rahmen der Rechtsfolgenentscheidung zugrunde gelegte Schlussfolgerung des AG, der Betr. sei eine Geschwindigkeitsüberschreitung i.H.v. 31 km/h vorzuwerfen, da in dem verkehrsberuhigten Bereich eine Geschwindigkeit von maximal 7 km/h zulässig gewesen sei, hält demgegenüber rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Gem. § 42 Abs. 2 StVO i.V.m. dem Verkehrszeichen 325.1 in Abschnitt 4 der Anlage 3 (zu § 42 Abs. 2) darf in einem verkehrsberuhigten Bereich nur “Schrittgeschwindigkeit' gefahren werden. Eine nähere gesetzliche Definition dieses Begriffes findet sich nicht.
Nach dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG muss jedermann vorhersehen können, welches Handeln mit welcher Sanktion bedroht ist und sich entsprechend darauf einstellen können. Diese notwendige Vorhersehbarkeit ist dann nicht gegeben, wenn das Gesetz einen Straf- oder Bußgeldtatbestand zu unbestimmt fasst. Der Begriff der “Schrittgeschwindigkeit' wird dem Bestimmtheitsgebot nur dann gerecht, wenn er sich durch Auslegung hinreichend klar bestimmen lässt.
Dies ist nach Bewertung des Senats unabhängig von den hierzu vertretenen unterschiedlichen Auffassungen grds. der Fall, so dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, insoweit die nähere Definition der Rspr. zu überlassen (OLG Köln, Beschl. v. 22.1.1985 – 1 Ss 782/84; ebenso für den Begriff der “mäßigen Geschwindigkeit' OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.11.2017 – 2 Ss 24/05).
Der Begriff der Schrittgeschwindigkeit bestimmt sich in jedem Fall als eine Form des Gehens, was nach hierzu allgemein gültigen Definitionen voraussetzt, dass stets zumindest ein Fuß Bodenkontakt hat. Dabei liegt es für den Senat auf der Hand, dass auch der durchschnittliche Verkehrsteilnehmer bei verständiger Würdigung von sich aus nicht etwa ernsthaft noch Geschwindigkeiten in Bereichen in Betracht ziehen wird, welche z.B. nur von Spitzensportlern im Gehen erreicht werden können (Die schnellsten Männer erreichen laut “Wikipedia' [unter dem Stichwort “20-km-Gehen'] beim 20-km-Gehen Zeiten um 1:17 Stunden, das entspricht 4,27 m/s oder 1...